Ins Neue Jahr

Umkehr statt Veränderung: Vorsätze und Eliten

Am Ende eines Jahres nehmen sich viele vor, in Zukunft etwas ansatzweise oder grundlegend zu ändern. Solche Vorsätze halten oft nicht lange vor, werden schnell aufgegeben oder man muss erkennen, dass der Wille zwar vorhanden, doch das Fleisch schwach ist. Es muss also eine Sache grundsätzlich angegangen werden und da helfen keine Schönheitsreparaturen, sondern nur eine Abkehr von alten Gewohnheiten, die als Umkehr oder Heimkehr zum Eigentlichen gefühlt werden kann. Auf diese Weise kann man zu den Besten gehören und ist zudem authentisch.

Am grünen Tisch einen Vorsatz geplant, zeigt sich das Problem im Alltag ganz anderen Herausforderungen gegenübergestellt. Dennoch oder gerade wegen der vergeblichen Mühe lässt sich fragen, ob der alljährliche Brauch, sich etwas vorzunehmen, nicht doch einen Sinn oder einen kleinen Effekt hat. Vielleicht zeichnet es sogar das Besondere aus, bei den Vorsätzen zu scheitern. Es könnte sogar sein, dass Menschen mit der Gabe oder der unerschütterlichen Ausdauer, sich immer wieder trotz des Wissens um ein Scheitern etwas vorzunehmen, zur Elite in ihrem Fachgebiet oder Lebensbereich gehören.

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Elite als eine Gruppe verstanden, die bestimmte Privilegien besitzt und diese zum eigenen oder zum Vorteil anderer nutzt. Solche Privilegien können ererbt, zugewiesen oder erworben sein. In jedem Fall begründen spezielle Fähigkeiten diese Privilegien. Es kann auch sein, dass einfach nur der soziale Kodex die Zugehörigkeit zur Elite bestimmt. Elite ist damit eher etwas Statisches, zur Wirtschaftselite oder zur politischen Elite hat nicht jeder Zugang. Elitäre Kreise sind von sozialen Erkennungsmustern umgeben, die man bedienen können muss, um dazuzugehören. Die Welt des 21. Jahrhunderts hat sich jedoch in diesem Punkt deutlich geändert. Es konnten Menschen Milliardäre werden, die vorher nicht zur Elite gehörten. Die höheren Bildungsmöglichkeiten bestehen nicht nur für eine kleine Gruppe der Gesellschaft, auch wenn nicht jeder deswegen zum Vorstandschef eines Konzerns werden kann. Vor allem jedoch gibt es von der Seite der Benachteiligten eine neue Dynamik. Auf der einen Seite wird von Verantwortlichen erwartet, dass sie ihre Fähigkeiten einsetzen und das Richtige tun, anderseits führen moralische Fehltritte recht schnell zum Verlust bestimmter Privilegien. Die Elite, so könnte man es formulieren, muss heute recht hohe Ansprüche erfüllen, sie sollen handeln, obwohl meist kaum erkennbar ist, was eine gute Entscheidung ist. Sie sollen moralisch integer sein und dürfen sich Fehltritte nur noch bedingt leisten. Ein sexueller Übergriff, was bislang von Einigen als ihr Recht angesehen oder verharmlost werden konnte, kostet heute schnell die Karriere.

Die Umkehr

Das christliche metanoiete, „kehret um!“, ist ein Hinweis darauf, was eine Elite im Gegensatz zum bisherigen Verständnis auszeichnen könnte. Dass manche Menschen intelligenter, mit vielen Fähigkeiten ausgestattet sind oder aus einem privilegierten Elternhaus stammen, lässt sich nicht leugnen und wird immer dazu führen, dass es unter Menschen ungleiche Zugänge zur Macht geben wird. Einige sind reich, andere arm und einige superreich. Die globalisierte Welt führt dazu, dass Eliten unterschiedlicher Staaten, Nationen, Religionen, Konzerne usw. eine einheitliche Auffassung von Elite entwickeln, um die sozialen Zugänge zu den jeweiligen Kreisen zu sichern. Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt, weil regionale Gruppierungen ihre Vorstellungen durchsetzen wollen. Um auf den globalen Märkten überhaupt noch handlungsfähig bleiben zu können, müssen die Eliten eine Idee von Elite entwickeln, die nur noch grobe Vorgaben macht. Dies bedeutet nicht, eine Änderungsbereitschaft zu fördern, sondern ein Milieu zu entwickeln, das von Menschen gebildet wird, die eine ständige Umkehr zu ihrem Habitus gemacht haben. Nur, wer bereit ist, seine Haltung aufzugeben, andere Vorstellungen anzuerkennen und Vorhaben mit anderen zu besprechen, um verschiedene Perspektiven zu kennen und zu fühlen, wird den Mut haben, Projekte in eigener Verantwortung zu übernehmen. Nicht der Versuch, zu einem Konsens oder Kompromiss zu kommen, macht Erfolg aus, sondern die Bereitschaft, sich durch den Perspektivenwechsel formen zu lassen und dann konsequent zu handeln. Auch die Aufforderung „Kehre um!“ kann so verstanden werden. Da hat jemand verstanden, dass Änderungsabsichten fromme Wünsche sind. Das Umkehren ist radikaler. Es bedeutet, dass die innere Sicht, der Grund der Veränderungen, eine andere Dimension bekommt, wie es eine Zen-Geschichte erzählt. Der Dorfbewohner trug jeden Tag einen Krug zum Brunnen und wieder zurück zu seinem Haus. Dann machte er sich auf zu einem Meister, um von ihm zu lernen. Nach vielen Jahren kam er in sein Dorf zurück und trug wieder jeden Tag den Krug zum Brunnen und wieder zurück zu seinem Haus. Die Dorfbewohner waren verwundert und fragten ihn, ob er denn beim Meister nichts gelernt und sich geändert habe. Der Zen-Schüler antwortete: Ich trage jetzt den Krug zum Brunnen und wieder zurück zu meinem Haus. Äußerlich und vielleicht sogar innerlich hat sich nichts geändert. Dennoch hat der Schüler eine Umkehr durchgemacht, weil er erkannt hat, dass Änderungen mit Umkehr nicht gleichzusetzen sind.

Die Kraft der Vorsätze

Insofern sind Vorsätze für das neue Jahr oder an bedeutenden Lebensabschnitten unsinnig, selbst wenn ein Vorsatz tatsächlich umgesetzt und durchgehalten wird, ist diese Veränderung schnell vergessen und trägt zum Lebensglück nicht wirklich bei. Wenn jemand über Vorsätze nachdenkt und sich in andere Bewusstseinszustände versetzt, sich herausfordern lässt von seinen Fantasien oder auch Befürchtungen, dann sind Vorsätze sinnvoll und Änderungen werden gar nicht angestrebt, sie ergeben sich allenfalls, weil es im Denken Umkehrungen gegeben hat. Und Menschen, die sich auf solche Verschiebungen und Umkehrprozesse einlassen, werden Eliten bestimmen. Denn gerade dort ist dieser Habitus notwendig, um die riesigen Ansprüche abwehren zu können, die angesichts komplexer Zusammenhänge aufkommen. Viele Menschen erwarten, dass diejenigen mit den Fähigkeiten und Privilegien endlich handeln und das Richtige tun. Eliten, die sich darauf einlassen, sind gezwungen, Entscheidungen immer wieder nachzubessern, zu korrigieren, aufzugeben und einen neuen Anfang zu wagen, um dann erkennen zu müssen, dass sie ihren Erfolg nicht tatsächlich erreicht, sondern ihr Tun nur als solches verkauft haben. Und diesen fassadenhaften Erfolg aufrecht zu erhalten, kostet wiederum sehr viel Energie, die für das Handeln wiederum fehlt.


Kategorie: Entdecken

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang