Naturwissenschaften können über Existenz oder Nichtexistenz des Ichs nichts feststellen
Wäre ich nur Körper bin, dann würde mit der Auflösung meines Gehirns auch mein Ich verschwinden. Wenn aber mein Ich nicht bloß ein Produkt der Hirnströme ist, dann ist die Frage noch offen, was aus mir wird. Kann es überhaupt zerfallen? Warum ist am Ende der Evolution so etwas entstanden, das nicht nur den Körper regiert, sondern Brücken baut, Sinfonien komponiert und das riesige Weltall erforscht. Das Bewusstsein ist ja mehr als ein Reflex. Der Mensch hat den ganzen Erdball verändert. Von den Naturwissenschaften ist keine vollständige Antwort zu erwarten. Wenn dieser Kosmos verschwindet, dann gibt es auch keine Physik mehr. Mit der Astronomie können wir in keine andere Welt als die unsere schauen. Denn diese Wissenschaft kann nur physikalisches messen, also Photonen, die vom Ende der Welt zu uns gelangen. Da sich das Bewusstsein nicht in Raum und Zeit ausgedehnt und es keine Masse hat, ist es für die Naturwissenschaften nicht greifbar. Deshalb können selbst die Hirnforscher nicht sagen, ob es die Seele gibt oder nicht. Auch frühere Generationen haben sich mit dieser Frage auseinandergesetzt.
Vom Schattenreich zum Himmelreich
Über viele Generationen rechneten die Menschen mit einer Art Schattenreich, in das sie mit dem Tod "hinabfahren". Später sahen die griechischen Philosophen den Tod als Befreiung der Seele von allem Körperlichen. Sie kehrt zur reinen Schau zurück. Der Aufenthalt auf der Erde wurde, ähnlich wie im Buddhismus, als Verbannung gesehen. Schon diese Griechen sahen die Seele oben und nicht mehr in der Unterwelt.
Im späten Judentum und dann von den Christen wird mit der "Auferstehung des Leibes" gerechnet, einem Zustand der Seligkeit, wo jede Träne getrocknet wird und der Leib, da er verwandelt wurde, an der neuen Existenz teilhat. Der Leib ist dann nicht mehr Krankheiten ausgesetzt. Während der Islam von einer im Himmel intensiv praktizierten Sexualität ausgeht, erklärt der Gründer des Christentums kategorisch "Im Himmel wird nicht mehr geheiratet." Aber es wird Mahl gehalten. "Ich werde von diesem Kelch nicht mehr trinken," sagt Jesus bei dem Abschiedsmahl vor seiner Hinrichtung, "bis ich ihn mit Euch trinken werde im Reich meines Vaters." Was berechtigt Gläubige, mit einer solchen Zukunft für sich selbst zu rechnen. Ist es nur der Glaube?
Glaube beschäftigt sich mit der Zukunft
Es kann natürlich nur der Glaube sein, auf den sich eine Überzeugung über die Seele stützen kann. Denn über die Zukunft kann man nicht Sicheres wissen. Goller zeigt an den Denkfiguren von Philosophen und Theologen, dass es um den Übergang des 'Ich' in die himmlische Existenz geht. Denn "Ich" muss ja in einer neuen Existenz wissen, dass ich es bin, eben der, der vorher eine irdische Existenz hatte. Kann ich jetzt aber schon wenigstens ahnen, dass ich mich nicht auflösen werde wie mein Körper. (S. 249-286)
Platon sieht diese Ahnung dadurch bestätigt, dass wir Vorstellungen in uns tragen, die wir nicht aus dieser Welt haben können (S. 254). Eine solche Vorstellung ist die einer gerechten Ordnung. Wir erleben alles andere als eine gerechte Welt, vielmehr scheinen hier die Tendenzen die Oberhand zu haben, die der Gerechtigkeit zuwiderlaufen. Trotz aller schlechten Erfahrungen kommt die Vorstellung, dass es gerechter zugehen sollte, immer wieder auf. Es geht darum, trotz gegensätzlicher Erfahrungen nicht der Resignation zu verfallen, denn die Idee kommt nicht aus den Prozessen unseres Körpers, sondern muss einen außer-materiellen Ursprung haben. Diesem Geistigen, also der Vorstellung von Gerechtigkeit, sind wir mehr verpflichtet als der uns umgebenden Realität. Jesus nennt diese größere Gerechtigkeit "Reich Gottes". Sokrates weist im Dialog mit seinen Schülern, den Platon im Phaidon wiedergibt, auf den Vorrang der Seele hin.
Unser Personsein tendiert auf Vollendung
Mit der Auferstehung Jesu tragen die Christen die Hoffnung mit sich, dass auch sie in ein neues Leben hinübergehen werden - in eine neue Existenz, in der das Wirklichkeit wird, was hier anfanghaft in den Glücksmomenten des Lebens erfahrbar wird. Diese Momente halten die Sehnsucht nach einer Existenz im Ausgleich mit sich selbst und den anderen wach. Esa gibt auch den Wunsch, dem zu begegnen, der mich als Person gewollt hat. Gibt es aber ein berechtigtes Vertrauen, dass wir nicht nur unseren eigenen Wünschen aufsitzen?
Auf einen der vielen Lösungsmöglichkeiten, die Goller übersichtlich darstellt, sei hingewiesen: Der Mensch ist auf Entwicklung angelegt, er soll menschlich reif werden, indem er eine ethisch Person wird. Wir nennen das Humanität und beurteilen Menschen letztlich nach dieser Vollkommenheit. Am Ende ist in den Augen der anderen nicht meine sportliche Höchstleistung, meine Erfindung, mein beruflicher Erfolg ausschlaggebend, sondern die Idee vom Menschen, die wir in uns tragen. Wir haben eine Vorstellung von dieser Vollkommenheit, erreichen sie aber in der hiesigen Existenz nicht. Sollen wir aber diese Zielvorstellung aufgeben oder sie als Versprechen sehen, dass in einem neuen Leben diese Vorstellung eingelöst wird. (S. 305-309, nach Peter Strasser, Gibt es ein Leben nach dem Tod?)
Wenn wir größer vom Menschen denken, dann betreiben wir die Entwicklung unserer Person. Die anderen werden es uns danken, dass wir Größeres angestrebt haben.
Buchtipp:
Hans Goller, Das Rätsel Seele; Was sagt uns die Wissenschaft, 334
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