Pferdekoppel, Foto: hinsehen.net

Tiere gehören zum Heilsplan

Vegetarier, Veganer oder gar Frutarier lösen manchmal ein ungläubiges Lächeln aus, sie werden in die Defensive gedrängt und manchmal auch einfach nur verspottet. Die Motivation zur Umstellung der Ernährung wird in vielen Fällen damit begründet, dass man durch eine Reportage im Fernsehen geschockt sei von der unwürdigen Massentierhaltung und daher auf Fleisch verzichte. Diskussionen um den richtigen Umgang mit Tieren enden oft in dogmatischen Sackgassen. Ethische Fragen im Umgang mit Tieren sind sehr komplex und diffizil. Auf Fleisch und tierische Produkte zu verzichten, ist durchaus lobenswert, die schwierigen Fragen einer Tierethik sind damit jedoch nicht gelöst.

Die Art und Weise wie heute mit Tieren umgegangen wird, müsste eigentlich jedem noch menschlich gebliebenen Mensch die Schamesröte ins Gesicht treiben. Die Tierhaltung hat mit dem gewohnten Bild eines Bauern nicht mehr viel zu tun. Das Ganze ist eine Industrie. Da zählen weder Mensch noch Tier. Und wer sich über die Massentierhaltung aufregt, versucht dennoch, seine Lebensmittel möglichst günstig einzukaufen. Und wenn er oder sie Hund oder Katze als Haustier haben, dann wird eben auch das Futter gekauft und nicht hinterfragt, woher denn das Fleisch für die lieben Haustiere kommt. In Deutschland gab es 2016 ungefähr 1,18 Millionen Menschen, die zwei Hunde in ihrem Haushalt hatten, 11,6 Millionen Hunde sollen es insgesamt sein.  Man kann sich vorstellen, wie viel Fleisch produziert werden muss, um nur die Hunde satt zu bekommen. Die Katzen sind dabei noch nicht mitgezählt.  Jemand, der als Hundebesitzer die unwürdige Tierhaltung beklagt, sollte bedenken, dass er oder sie das Futter für die Hunde oder Katzen auch aus einer solchen Massentierhaltung kauft.

Es gibt keine klare Linie

Das Beispiel vegetarischer oder veganer Haustierbesitzer macht deutlich, dass die Auseinandersetzung mit tierethischen Fragen keineswegs einfach ist. Die Ansichten radikaler Tierschützer zeugen oft von einer naiven Vorstellung über die Natur und die Stellung des Menschen als Kulturwesen. Die Unterscheidung von Mensch und Tier ist zudem eine sehr schwierige anthropologische Frage. Aus der Beantwortung dieser Frage leitet sich ab, welche Tiere dem Menschen näher sind und aus diesem Verwandtschaftsverhältnis heraus menschenähnlicher behandelt werden sollten. Die Ähnlichkeit mit dem Menschen lässt ebenso vermuten, dass Emotionen und Gefühle vorhanden sind, die ein Tier mehr als Subjekt erleben lassen. Neurowissenschaftliche Forschungen belegen eindeutig, dass zumindest die Erregungen in den einzelnen Arealen des Gehirns genauso sind wie beim Menschen. Doch lässt diese Erkenntnis noch keinen Schluss auf das Erleben zu. Auf der anderen Seite gerät man bei einer solchen Argumentation in ein anderes Dilemma. Was ist, wenn sich ein Mensch aufgrund einer Behinderung, einer Krankheit wie Demenz nicht äußern kann? Wie muss man in einem solchen Fall Mensch und Tier unterscheiden? Muss der Personenbegriff als Kriterium der Unterscheidung genommen werden und ist dann die Unterteilung Mensch – Tier nicht hinfällig?

Das Wechselverhältnis

Die Welt der Tiere und die Welt der Menschen sind in der Kultur von zahlreichen Überschneidungen gekennzeichnet. Schon früh gab es die Sitte, Mensch und Tier gemeinsam zu bestatten. In der griechischen Mythologie war der sexuelle Kontakt zwischen den Göttern und Tieren nicht ungewöhnlich. In Ägypten, im antiken Griechenland  und anderswo wurden die Gottheiten durch Tiere symbolisiert und durch sexuelle Kontakte verehrt. Früh hat der Mensch Tiere domestiziert, standen Mensch und Tier in einem wechselseitigen Verhältnis, der Mensch sorgte für Nahrung und Schutz, das Tier bewachte die Herde, Haus und Hof. Wenn es auch immer schon einen durchaus bedenkenswerten Umgang mit Tieren gab, so ist erst mit der Industrialisierung der Fleischverarbeitung  ein Verhältnis zwischen Mensch und Tier eingetreten, das von einer reinen Zweckorientierung gesteuert ist. Auf der anderen Seite ist die Zahl der Haustiere immens gestiegen und für manche Tierliebhaber ist der Hund zum besseren Mensch geworden.

Geschöpflichkeit

Das Judentum/Christentum ist für die Entwicklung einer Tierethik in der westlichen Welt sehr maßgeblich. Die Auffassung, dass Gott die Welt erschaffen hat, beinhaltet die Aufforderung, die Schöpfung zu achten und in ihr Gottes Antlitz zu erblicken. Der Auftrag an die Menschen, Mitschöpfer zu sein, bedeutet eben auch eine Fürsorgepflicht für Tiere. Diese eigentlich sehr klare und eindeutige Schöpfungstheologie ist im Laufe der Jahrhunderte in den Hintergrund getreten. Und es ist sicherlich nicht verwunderlich, dass der tierliebende Heilige Franziskus von Assisi, im Papst Franziskus einen Streiter für den verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und eben den Tieren gefunden hat. Mit der Enzyklika „Laudato si“ fand der Papst eine große Anerkennung über den binnenkirchlichen Rahmen hinaus. Allerdings muss sich die Kirche eingestehen, dass sie keine Vorreiterstellung beim Umwelt- und Tierschutz eingenommen hat. Aus der Vorstellung heraus, dass Tiere Gottes Geschöpfe sind, ergibt sich die Verantwortung des Menschen, dass er um das Wohlergehen der Tiere bemüht sein muss. Dass Tiere gequält, misshandelt, rein zum Zweck der Nahrungsherstellung „produziert“ werden, widerspricht eindeutig diesem göttlichen Auftrag.

Tierethik

Wie man eine Tierethik entwickeln kann, die nicht rein agitativ ist, zeigt Martin M. Lintner in dem Buch „Der Mensch und das liebe Vieh“ auf. Er nimmt keine radikale Haltung ein, verurteilt Nutztierhaltung, Jägerei oder Tierversuche nicht generell. Das wird manche Tierrechtler verärgern. Martin M. Lintner zeigt jedoch auf, welche Fehleinschätzungen und logischen Ungereimtheiten strenge Verfechter der Tierrechte begehen. Im Buch wird deutlich, welche Konsequenzen eine bestimmte Annahme hat und dann trotz guter Absichten ein neues Problem schafft. Tierethik kann nicht isoliert betrachtet werden. Anthropologische, ökonomische und ökologische Fragen sind immer mit zu bedenken. Martin M. Lintner beginnt daher auch mit Grundfragen zum Verständnis der Natur und der Stellung des Menschen in ihr. In einem zweiten Kapitel werden die philosophischen Grundfragen der Tierethik vorgestellt und diskutiert, die dann im Folgenden an den Handlungsfeldern Haus- und Nutztierhaltung, Tierversuche, Jagdethik  und Konsum von Tierprodukten konkretisiert werden. Hier wird deutlich, wie schwierig die Umsetzung einer ethischen Theorie in die Praxis ist. Auf diese Schwierigkeit antwortet Martin M. Lintner mit dem letzten Kapitel: Eine Ethik der Mitgeschöpflichkeit. Der Mitautor des Buches Christoph J. Amor spitzt die Geschöpflichkeit in der theologisch durchaus möglichen Aussage zu, dass Tier und Mensch einst gemeinsam vor Gott sitzen werden. Allein eine solche Fantasie müsste die Christen mit einem heiligen Schauer erfassen, wenn sie im Supermarkt die Hand zum billigen Fleisch ausstrecken, denn sie wissen: Dieses Tier kannte nur Leid und Qual. Von daher: Erst „Der Mensch und das liebe Vieh“ lesen und dann kaufen.

 Martin M. Lintner, 2017. Der Mensch und das liebe Vieh. Ethische Fragen im Umgang mit Tieren. Innsbruck: Tyrolia. 21,95 Euro


Kategorie: Gelesen Religion

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