eingeschlossen in dem vorhandenen Wissen, Foto: Pixabay

Textarbeiter werden durch Algorithmen ersetzt

Das Navy nimmt uns das Kartenlesen ab, die BahnApp hat schon lange das dicke Kursbuch ersetzt, Google und DeepL übersetzen elegant in andere Sprachen, mit ChatGPT schreibt das Internet meine Texte jetzt selbst. Was bleibt mir noch?

Wie der Navigator unentbehrlich geworden ist, um trotz des Verspätungschaos der Bahn das Ziel zu erreichen, gibt es jetzt auch das Heilmittel für den schlechten Deutschunterricht. Studenten können ihre Hausarbeiten vom Algorithmus entwerfen lassen, um dann als Textarbeiter, also als Journalisten, Prediger, Rechtsanwälte demnächst den Computern zuschauen, wie dieser ihre Arbeit erledigt.
Wenn die Leistungen der digitalen Sklaven so viel Erstaunen hervorrufen, sie ersetzen erst einmal Kompetenzen, die Menschen früher hatten. Das zeigt ein Vergleich. Im Unterschied zu Bahnreisenden und Autofahrern brauchen Zugvögel keine App, um über tausende Kilometer an ihren früheren Brutplatz zurückzufinden. Deshalb erst einmal Stopp mit den guten Ratschlägen, wie wir diese Technik in unsere Lebenswelt integrieren und noch Reste von Arbeit für die schreibenden Kolleginnen und Kollegen retten wollen. Schauen wir uns die krassen Auswirkungen an:

  • Ich lese nicht mehr die Zeitung, auch nicht über Googlenews, sondern Frage ChatGPT
  • Ich lasse KI mein Plädoyer vor Gericht oder meine Predigt schreiben
  • Ich lasse KI den Entwurf meiner Hausarbeit ausdrucken und überarbeite diesen, um seine Herkunft zu vertuschen.
  • Ich lasse als Fernsehproduzent KI das nächste Drehbuch für die Soap schreiben und von einer Autorin pro forma überarbeiten, um ein Honorar in Rechnung stellen zu können.

Wenn Microsoft und die anderen nicht nur mehr über mich wissen als ich selber, sondern auch das, was in meinem Kopf passieren sollte, mir abnehmen, dann schaue ich doch nur noch dem Leben zu! ChatGPT hat bewusst gemacht, was schon lange vorbereitet wurde. Wir haben der totalen Datenkontrolle zugesehen und wie jetzt auch noch unser Denken und Schreiben von den Techgiganten kolonisiert wird.

Der Wortschatz von ChatGPT ist immer der größere

Wenden wir den Blick und fragen, was Textarbeiter in Zukunft machen werden, wenn ChatGPT so zu einem Gebrauchsgegenstand geworden ist wie das Auto. Sie sind ihm deshalb unterlegen, weil der Algorithmus auf einen viel größeren Wortschatz zugreifen kann als ich in der entsprechenden Hirnregion habe. Wenn der Algorithmus entsprechend programmiert ist, kann das neu eingegebene Wort direkt gebraucht werden, während ich erst einmal ausprobieren muss, wie ich das Wort verwende. Elektronisch lässt sich nämlich sehr viel schneller speichern, wozu im Gehirn erst Dendriten wachsen müssen, damit etwas ins Langzeitgedächtnis wandert. Daraus folgt, dass wir den Algorithmus nicht toppen können. Es wird endlich dazu kommen, dass wir das ausbilden, was unser Hirn besser kann. Es wird dann sicher noch dauern, bis das dann auch in den Geisteswissenschaften geprüft wird. Das muss umgehend bei den Studierenden, anfangen, denn sie werden mit den jetzigen Ausbildungsschwerpunkten gegen die Algorithmen in der Textbearbeitung nicht mehr ankommen. Auswendig lernen, auf das viele Prüfungen reduziert wurden, kann der Algorithmus besser und inzwischen die gängigen Texte für Zeitungen, Predigten, Drehbücher schneller ausspucken.
Es wird auch deutlich: Die schweren Mängel in den Geisteswissenschaften haben ChatGTP zugearbeitet. Sie haben ihren Focus auf vorliegende Texte gelegt und die Ergebnisse in Lexika, Handbüchern, Fachzeitschriften niedergelegt. Damit kann der Algorithmus auf das, was die Studierenden in den Prüfungen bieten müssen, schneller zugreifen. Microsoft stellt 10 Milliarden dafür zur Verfügung. Dagegen können auch Harvard und Jale nicht mehr an. Damit werden durch den jetzigen Studienaufbau und die Prüfungspraxis Arbeitsplätze überflüssig gemacht. Es wird ja das Wissen abgefragt, was bereits in den Büchern steht, um mit den Algorithmen für die durchschnittlich benötigten Texte umgesetzt zu werden. Das wird auch so bleiben. Wenn ein geisteswissenschaftlicher Studienabschluss auf eine Tätigkeit vorbereitet, in der man auf konkrete Menschen und den Zeitgeist reagieren soll, dann ist nicht die Fähigkeit gefragt, bereits gegebene Antworten aus dem im Studium trainierten Gedächtnis zu wiederholen, sondern die Situation so zu gestalten, dass der andere nicht das Gefühl hat, abgespeist worden zu sein, sondern sich weiter entwickelt zu haben.
Im Evangelium wird ein Ratschlag von Jesus zitiert: Der Schriftgelehrte solle Altes und Neues aus seiner Truhe hervorholen. Mit dem Buchdruck und jetzt mit ChatGPT kann er weitgehend auf das Alte verzichten und sich auf das Neu konzentrieren. Jesus hatte bereits Schwierigkeiten mit den Schriftgelehrten, die ihn an das Alte festbinden wollten, und ihn so behinderten, das Neue, das von Gott gestifteten Reich zu verkünden. In meinem Fach Theologie ist die Predigt als objektive Bibelauslegung nicht nur zum Langweiler geworden, sondern im Internet bereits zu finden. Damit verdichtet die Predigt aber nicht mehr den Gottesdienst, bewirkt nicht mehr etwas im Erleben, öffnet nicht mehr für eine neue Erfahrung. Deshalb finden die Gläubigen kaum noch das, was ein Rock-Konzert bietet. Diese Konzerte funktionieren, obwohl sie nicht in schön gestalteten Kirchräumen, sondern im sterilen Umfeld einer Halle oder einer Arena stattfinden. Wenn in einer Prüfung nicht Wissen abgefragt würde, sondern der Prüfling Glaubenszweifel oder Einsprüche von Materialisten aufgreifen müsste, würde er das zeigen, was er sich angeeignet und nicht nur auswendig gelernt hat. Nicht nur die Theologie wird herausgefordert, neu zu bestimmen, für was sie ausbildet.

Das Internet sammelt nur Wissen, Lebenskunst beherrscht unser Gehirn

Es gibt genug Wissen, und viel zu Vieles, was ich nicht wissen muss. Wir stehen jetzt schon im Informations-Stau, nämlich mit den vielen gleichen Informationen. Bei Google bekomme ich doch x-mal das Gleiche angezeigt, wenn ich nur unspezifisch frage. Die endlose Reihe von Posts, die die Social Media wahllos auf meinen Bildschirm schütten, kann ich doch nur wegwischen und möglichst vergessen. Das Internet hat die Textmengen vervielfacht. Mit ChatGPT könnte man sie noch einmal potenzieren. Jeder könnte täglich 100 neue Seiten oder Posts online stellen, sodass unser Leben sich dann darin erfüllt, zu lesen und anzuschauen, was die Maschinen schreiben, musizieren, fotografieren. Hierzu braucht es die Alternativen aus den Geisteswissenschaften.

Eine andere Kompetenz als nur Wissen

Fragen wir uns jetzt noch, ob diese Künstliche Intelligenz uns die Kraft gibt, das Artensterben zu stoppen, den Klimakollaps oder den nächsten Krieg abzuwenden, Konflikte in Familien, Teams und Gruppen aufzuschnüren. Als Theologe sehe ich im Rückblick die Mönche in den mittelalterlichen Schreibstuben. Sie hatten sich statt Papier Tierhäute für das Pergament als Schreibunterlage gewählt. Auch wenn Abteien tausend Rinder im Jahr schlachteten, weil so viel Pergament gebraucht wurde, blieb die Schreibuntrlage knapp. Die Sorgfalt, die der knappe Rohstoff einforderte, führte zu Buchmalereien, die wir heute noch bewundern. Und warum strömen die Touristen in die gotischen oder barocken Kirchen und nicht in die Bürotürme, die die Kathedralen längst überragen.
Die Theologie hat dieser Kultur, die KI bis zur erstaunlichen Leistungsfähigkeit von ChatGPT hervorgebracht hat, Vorschub geleistet. Die Handbücher, Lexika, Kommentarreihen lassen sich leicht in die Text-Verfertigungs-Programme einpflegen. Aber sie führen nicht zu Kirchenräumen, in die die Menschen ihre Sehnsucht nach Größerem ausleben können. Bücher, die wir langsam durchblättern, bedienen sich der mittelalterlichen Bildwelt. Wir sind bereits in ein Entwicklungs-Vakuum geraten. Wenn dann noch in den Gottesdiensten die von ChatGPT verfertigte Bibelauslegung zu hören ist, wird eine Reformation fällig, um wieder an den Kern des Evangeliums zu gelangen. Der war damals durch die überbordende Bildwelt der Spätgotik zugedeckt, heute durch die in Lexika und Handbücher eingekastelte Glaubenswelt.

Die persönliche Theologie im Kopf ausbilden

Das Anliegen Luthers und Calvins ist wieder aktuell: Wie entsteht der Glaube im Einzelnen, ein Glaube, der sich täglich mit dem Leben verbindet. Das fordert der Algorithmus der Theologie jetzt ab. Wie für andere Geisteswissenschaftler kommt es auf die Person an, die nicht eine geistige Welt ergoogelt, sondern in ihr lebt.  Der Vergleich zum Mediziner zeigt unmittelbar auf, was gefragt ist: Dass eine kompetente Person mich versteht, auf mich eingeht und mir weiterhelfen kann. Ob Fremdenführer oder Prediger, wenn in der Person das lebendig ist, was sie vermittelt, gehe ich zufrieden von dannen. Das heißt für die Studierenden, dass erst die Aneignung des Wissens zum Beruf befähigt.

Bologna stellt den Studienaufbau bereit, um die Alternative zu ChatGTP zu entwickeln

Wenn im dreijährigen Studienprogramm für den Bachelor das Instrumentarium angeeignet wurde, kann jeder für den Master theologisch, historisch, kunstgeschichtlich zu denken beginnen.  Dann wir er, wird sie die eigene Theologie, Stadtführung, das Museum, die Stadtgeschichte oder die Epoche sich so aneignen, dass er, dass sie den Algorithmus ausstechen. Hier setzt dann der Unterschied zum Algorithmus an: Dieser kann das angesammelte Wissen nur kombinieren. Ich kann aber mein Geschichtsbild, meine Sicht auf eine Epoche, auf einen Künstler entwickeln. Das macht sowieso jeder, die Algorithmen fordern jetzt dazu heraus, es interessanter, persönlicher, mit einem eigenen Profil zu entwickeln. Für das Theologiestudium ist das Neue Testament Vorbild. Hier finden sich vier sehr verschiedene Biographien des Religionsgründers. Da Theologie das ganze Leben umfasst, die Vorstellung, wo die Welt herkommt, warum sie jetzt so ist, ob es eine Macht gibt, die mehr erreicht als der Mensch und dafür keine Waffen braucht, was der Tod mit mir macht, braucht jeder eine solche theologisch-philosophische Struktur. Wer dann das im Studium errungene Vertrauen in die selbst erarbeitete Theologie mitteilen kann, muss sich nicht mehr vor ChatGTP fürchten. Vergleichbares gilt für die anderen geisteswissenschaftlichen Berufswege. Eine solche Philosophie, Kunstgeschichte, Theologie wird umso mehr gefragt sein, je mehr Algorithmen unser Leben zu steuern versuchen. Dann wird auch der Höhenflug von Facebook, Microsoft und Google sich abschwingen. Denn aufs Persönliche hin ausgelegte Geisteswissenschaften werden andere Social Media hervorbringen. Die Suchmaschinen, die jetzt schon viel zu redundant sind, werden als erstes an den Rand gedrängt. Was die Verlage einmal geleistet haben, wurde von beiden Kirchen für das Internet sträflich vernachlässigt. Haben Luther u.a. Reformatoren sich nicht hingesetzt, um neu herauszubekommen, was Christsein eigentlich bedeutet.

Jetzt ist erst einmal angesagt, die bestehenden Stellen für digitale Medien zu retten.


Kategorie: Digitalisiert

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