Frei macht etwas wertvoll
Wir haben ein Empfinden für unsere Freiheit. Wir spüren schon im Handeln, ob wir selbst der Ausgangspunkt sind oder ob wir nur äußerem Druck nachgegeben haben. Das Gefühl ist auch körperlich da. Wir fühlen es im Bauch oder am Herzschlag, bekommen einen heißen Kopf oder es läuft uns kalt den Rücken hinunter, je nachdem, ob unser Ich entschieden oder wir nur auf einen äußeren Einfluss oder aus innerem Druck, z.B. aus Scham oder wegen eines schlechten Gewissens reagiert haben. Wo sitzt die Freiheit.
Das Gehirn reagiert, aber handelt nicht aus sich
Seit man die Gehirnströme beobachten kann, wollen die Hirnforscher nicht nur herausfinden, was in unserem Kopf passiert, wenn wir eine Tasse zum Mund führen. Sie wollen in die entscheidenden Punkte hineinleuchten, die unser Leben bestimmen. Sie kommen dann leicht auf die Idee, das Hirn sei der Auslöser. Zuerst würden in den Nervenverbindungen elektrische Impulse weiter geleitet. Und irgendwie würden wir dann denken, wir hätten entschieden. Der Frankfurter Hirnforscher Wolfgang Singer hat Reaktionsmuster beobachtet und dann die Versuchspersonen befragt, was ihnen bewusst geworden sei. Überraschenderweise wurden bestimmte Körperbewegungen erst dann von den Versuchspersonen gemeldet, als die Forscher bereits Stromfluss in der entsprechenden Hirnregion beobachtet hatten. Daraus schlossen sie, dass ein Diebstahl oder ein Pistolenschuss vom Gehirn zuerst ausgelöst und den Tätern dann erst bewusst würde, sie also gar nicht vor Gericht gestellt werden dürften.
Als wäre ein Bankeinbruch ohne vorherige genaue Planung möglich. Oder als würde eine Brücke von unserem Gehirn entworfen und den Konstrukteuren würden erst nachträglich ihre Planungsüberlegungen und ihre Berechnungen bewusst. Zwar brauchen wir unser Gehirn, um die Konstruktion einer Brücke zu entwerfen und zu berechnen, aber unser Gehirn macht das nicht von alleine.
Gebahnte Reaktionsmuster
Wie lassen sich aber dann die Sekundenbruchteile erklären, die das Gehirn vorher "feuerte", bevor die Versuchspersonen sagten, sie hätten den Hebel umgelegt. Die Hirnforscher können sogar nachweisen, dass der Tritt auf die Bremse im Hirn schon vorher zu beobachten war, ehe dem Fahrer das Bremsen selbst bewusst geworden war. Eine Vollbremsung kann ohne Vorüberlegung deshalb erfolgen, weil nach einigen Wochen Fahrpraxis das Reaktionsmuster schon im Hirn gebahnt ist, so dass ich reaktionsschnell bremsen kann. Wären solche Reaktionsmuster nicht vorprogrammiert, würden wir bei jedem Spaziergang mehrfach stolpern und es gäbe viel mehr Unfälle. Aber es sind Reaktionen. Es kommt noch das Umfeld des Versuches hinzu. Wenn die Versuchsperson unter einem Kernspintomografen liegt und vorher instruiert wurde, welche Handbewegung auf ein bestimmtes Signal hin erwartet wird, programmiert bereits das Gehirn. Der Person ist ja gesagt worden, dass sie auf einen Knopf drücken oder einen Hebel umlegen soll. Im Hirn ist damit schon angelegt, was zu tun ist. Warum dann noch bewusst entscheiden? Das ist so, als würde ich mir eine Praline in den Mund legen und dann überlegen, ob ich sie mit der Zunge langsam zerdrücken soll. Überlegung und Bewusstsein brauche ich für andere Entscheidungen.
Das Ich als Ausgangspunkt von Handlungen wie auch von Entscheidungen.
Handlungen können nicht mehr als Reaktionen auf einen Sinneseindruck sein, z.B. in die Bremse "zu steigen", wenn plötzlich von rechts ein Auto kommt. Das macht das Hirn ohne Überlegung. Handlungen können aber auch aus Entscheidungen folgen. Ich habe mich entschieden, nach Hamburg zu fahren und handle entsprechend, z.B. kaufe eine Fahrkarte und besteige einen Zug. Es gibt Entscheidungen, die eine ganze Folge von Handlungen nach sich ziehen, z.B. wenn ich nach Hamburg fahre, um dort zu studieren oder eine Arbeit aufzunehmen. Das geht nicht einfach so. Wenn mir die langfristigen Konsequenzen klar sind, dann muss ich mich meist zu einer Entscheidung durchringen. Ich habe also mit meinem Bewusstsein die Fähigkeit, nicht nur zu reagieren, sondern auch zu entscheiden, nicht ständig, aber doch so, dass ich das Steuer meines Lebens in der Hand behalte. Entschieden, das ist noch einmal festzuhalten, muss etwas sein, das von mir ausgeht. Reaktionen, z.B. eine Vollbremsung, kann man einem Auto auch einprogrammieren, wenn man es mit den notwendigen Sensoren ausstattet.
Eigenständigkeit nicht ohne Entscheidung
Wir haben einen Blick dafür, ob der andere nur reagiert, von etwas getrieben wird oder uns als eine eigenständige Person gegenübertritt. Das erste, was wir am anderen wahrnehmen, ist das eigenständige Urteil. Ob der andere sich selbst eine Meinung gebildet hat oder er sich dem anschließt, "was man darüber so denkt", spüren wir schnelle heraus. Es ist eine Frage der Unabhängigkeit und auch eines gewissen Mutes, ob man zu einem eigenen Standpunkt steht. Seine wirkliche Eigenständigkeit behält einer aber erst dann, wenn er, wenn sie die wichtigen Entscheidungen für den Kurs ihres Lebensschiffes selbst trifft. Es ist zwar auch ein Zeichen von Freiheit, sich nicht zu entscheiden, aber dann wird der Garten um das eigene Haus immer mehr von anderen genutzt. Denn wer nicht handelt, lässt anderen Raum, der eigentlich für ihn, für sie vorgesehen war. So wie es viele Menschen gibt, die den Raum, den das Leben ihnen eigentlich "eingeräumt hat", nicht einnehmen, so gibt es einige, die mit Elan, geschickten Strategien und "Durchsetzungsfähigkeit" viel Raum für sich in Anspruch nehmen. Wer dann andere in seinem Unternehmen, in dem von ihm geleiteten Verein, in seiner Stadt, in seinem Staat keinen Raum und keinen Schutz gibt, dessen Raum wird bald bedroht. Er muss alles seinem Machterhalt unterordnen. Er, sie sind dann nicht mehr frei, sondern Sklaven ihres Macherhalts.
Es ist also ein Wechselspiel zwischen meinem Ich und dem Raum, den ich brauche, um ihn mit meinen Entscheidungen zu gestalten und daraus meine Biografie zu formen. Ohne Entscheidungen engt sich meine Freiheit immer mehr ein. Ohne Emotionen keine Kraft zu entscheiden.
Dazu s. den Beitrag „Seele = Emotion“
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