Magie, mehr hineinlegen als drin ist
Magisches Denken pflegen auch Erwachsene, Kinder leben es unbeschwert. Wenn sie mit dem Teddybär reden, dann legen Sie etwas in das Stofftier, was dieses nicht hat. Magie ist aber noch erstaunlicher, z.B. wenn ein Kindergartenkind sieht, wie sich eine Person als Nikolaus verkleidet. Wenn dieser dann auftritt, ist es bis zu einem gewissen Alter überzeugt, dass es sich um den Nikolaus handelt. Deshalb laufen die Versuche, den Kindern die Angst vor dem heiligen Mann zu nehmen, ins Leere, wenn sich der Nikolausdarsteller vor den Kindern sein Gewand anzieht und die Mitra aufsetzt. Denn kleinere Kinder erleben den als Nikolaus Verkleideten magisch, bis sie dann, meist noch im Kindergarten, diese Vorstellungsweise ablegen.
Genau dieses magische Denken unterstellen Naturalisten den Metaphysikern und Theologen. Nämlich dass diese in die Materie etwas hineininterpretieren, was nicht drin ist, eine Fähigkeit, über die Materie nicht verfügt, nämlich die Seele. Dann muss das, was wir Bewusstsein nennen, auch physikalisch erklärt werden. Diese Fähigkeit ermöglicht dem Menschen, sich als Handlungszentrum zu verstehen. Ich weiß von mir, dass ich sitze, mir Gedanken über die Materie mache, gleich aufstehe und mir einen Tee überbrühe, eine Urlaubsreise buche, einen Artikel konzipiere. Wenn dieses Ich-Bewusstsein aus der Materie "emergiert“, also hervorgeht, dann ist es eine Eigenschaft der Materie. Dieses Denken führt dann zu dem Ergebnis, dass ein vernetztes Teil, also ein Smartphone, auch Bewusstsein haben muss.
Vernetztes hat Bewusstsein
In der "Neuen Züricher" wird diese Debatte ausführlich dargestellt: Bewusstsein soll aus der Dichte der Vernetzung entspringen. Dort wird der in Seattle lehrende Neurowissenschaftler Christof Koch zitiert: „Ganz gleich, ob der Organismus oder das Artefakt aus dem alten Tierreich oder von seinen rezenten Siliziumnachkommen stammt, ganz gleich, ob das Ding Beine hat zum Laufen, Flügel zum Fliegen oder Räder zum Rollen – wenn es differenzierte und integrierte Informationszustände aufweist, fühlt es sich nach etwas an, ein solches System zu sein; das System hat eine innere Perspektive.“
Das Bewusstsein hängt vom Grad der Vernetzung ab, die in „Phi“ gemessen wird. Das Konzept wurde von Giulio Tononi an der Universität von Wisconsin-Madison entwickelt. Man kann sich also getrost mit seinem Smartphone unterhalten. Ungeklärt lassen es die Materialisten, ob man dann nicht magischem Denken verhaftet, das mit seinem Teddybär redet.
Das biologische Gehirn soll personhaft sein
Wenn man Ansgar Beckermann, Christian Thieß u.a. Verfechtern des Materialismus begegnet, dann unterliegt man ihnen gegenüber einer Täuschung. Denn nach deren Theorie müsste man sie wie organische Computer behandeln. Man würde nicht eine Person vor sich sehen, denn die gibt es nur als komplex vernetzte Zellansammlung. Ich würde nicht mit Ansgar Beckermann reden, sondern mein Hirn würde mit seinem Gehirn in einen Austausch von Zeichen eintreten. Unsere beiden Hirne würden miteinander kommunizieren. Das jeweilige Ich, das nur eine Funktion der Hirnzellen ist, würde dabei zusehen.
Wer diesen Philosophen begegnet, wird von ihnen aber nicht wie eine biologische Maschine behandelt. Sie kommen nicht mit einem Programm, das Hirn ihrer Zuhörer umzuprogrammieren, sondern sie argumentieren. Deshalb “bekleiden“ sie nicht Lehrstühle für neuronales Lernen, sondern für Philosophie. Die Philosophie artikuliert sich durch Fachzeitschriften und Bücher, um mit Argumenten zu überzeugen. Es gelingt ihnen nicht, aus Philosophie Physik zu machen. Sie messen nicht und sitzen nicht in einem physikalischen Institut, sondern argumentieren, indem sie Vorträge halten und Bücher schreiben. Bleibt man bei der Philosophie, so muss nur das abschließende Urteil „Alles ist Materie“ aufgeheben. Dann wird das Feld für das Denken wieder frei, um weiter zu forschen und zu denken. Die Frage ist nämlich offen, was das Bewusstsein denn ist.
Wer Bücher von Materialisten mit denen von Platon, der Upanishaden, dem Tao te King vergleicht ist von der simplen Denkart von Ansgar Beckermann & Co überrascht. Der Verdacht bestätigt sich: Materialismus ist ein kindliches Denken. Es wird etwas in die Materie hineinprojiziert. Man kann unbeschwert mit dem Smartphone wie mit seinem Bodyguard reden.
Der Mensch, nicht die Materie kennt die physikalischen Gesetze
Wenn alles nur Materie ist, dann ist auch dieser Text nur Materielles, also eine Anordnung von Atomen oder ein Energiefeld. Das hieße aber, dass die Materie über sich selbst nachdenken kann, ob sie z.B. vor 13 Milliarden Jahren mit dem Urknall entstanden oder, wie frühere Generationen annahmen, schon immer bestanden hat. Die Materie wäre auskunftsfähig über sich selbst. Bisher hat die Physik keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass die Materie aus sich heraus ihre physikalischen Gesetze erklären würde. Der menschliche Geist muss ihr die Erkenntnisse abringen. So hat er aus der Beobachtung, dass sich das Weltall ausdehnt, geschlossen, dass es mit dem sog. Urknall angefangen haben muss. Um die Baugesetzen und die Bausteine der Atome ansichtig zu machen, hat man bei Genf einen riesigen Teilchenbeschleuniger gebaut. Denn von sich aus sagt die Materie nicht, wie sie gebaut ist. Das gilt auch für den Menschen. Der Körper erklärt mir nicht, wie der Herzkreislauf mit der Lunge und dem Sauerstofftransport fertig wird. Auch das muss erforscht werden.
Woher kommen die Gesetze der Physik?
Nun stößt die Physik auf gesetzmäßige Zusammenhänge, die sogar für das ganze Weltall gelten. Wo kommen diese Gesetze her? Sind sie einfach mit der Materie gegeben oder hat sie ein planender Geist dem Kosmos mit auf den Weg gegeben. Beides, ob mit der Materie gegeben oder von einem Geist entworfen, man kann es nicht aus der Materie herauslesen, sondern ist auf gedankliches Schlussfolgern angewiesen. Materialisten beenden die Diskussion zu schnell, indem sie abschließend sagen: Es gibt nur Materie. Ansgar Beckermann in einer Podiumsdiskussion “Der Geist hat keine andere Seinsweise als das Gehirn.“ Natürlich ist auch der menschliche Forschungsgeist Gehirn-basiert und stützt sich auf die Nervenstrukturen des Gehirns. Im Gehirn steckt zumindest die Fähigkeit, zu forschen und darüber nachzudenken, ob alles nur Materie ist oder es noch etwas gibt, was wir Geist nennen. Macht man das zu der abschließenden Aussage: „Es gibt nur Materie,“ legt man etwas ins menschliche Gehirn, was mit den Naturwissenschaften nicht dingfest zu machen ist. Das bezeichnet man psychologisch als magisches Denken.
Ich muss dem Computer keine Seele unterstellen
Irgendwie sollten die Materialisten uns auch von der Verpflichtung befreien, einem Computer ein Innenleben zuzubilligen und mit ihm umzugehen als habe er, mit Koch gesprochen „eine innere Perspektive.“ Dieses magische Denken kann man nur als Übergang akzeptieren, etwa so, dass kleine Kinder sich entwickeln, indem sie nicht weiter nur auf Reize reagieren, sondern im anderen ein Mehr sehen. Sie müssen dann lernen, dass der Teddybär dieses Mehr nicht hat, wohl aber die größere Schwester oder der kleinere Bruder. Wir würden auch von der vereinfachenden Weltsicht dieses Kind-Schemas befreit. Wir würden die Weltprobleme nicht einfach an Gehirn-Programmierer delegieren. Wir müssten andere Wege finden, wenn Beziehungen scheitern, Kinder drogenabhängig werden. Wir müssen uns wegen eines Terroranschlages deshalb tiefergehende Sorgen machen, weil es nicht nur um Gewalt, sondern um die Rechtfertigung von Gewalt geht. Die Gehirne der Attentäter kann man offensichtlich nicht einfach umprogrammieren. Dann sind die Gedanken, was nach dem Tod komm, nicht überflüssig. Vor allem würde das Weiterforschen und -Denken einen Fortschritt in der Frage bringen, warum das Zusammenleben gerade der Träger des höchstentwickelten Gehirns immer wieder in Kriege mündet.
Zum Weiterlesen:
Die Bibliografie von Ansgar Beckermann:
Zur Vernetzungstheorie bei Smartphone und Gehirn: NZZ das leere Gehirn
Zur Konstruktion des Vernetzungsfaktors Phi
Eine philosophische Weiterführung: Markus Gabriel: Ich ist nicht Gehirn. Philosophie des Geistes für das 21. Jahrhundert. Ullstein, Berlin 2015. 349 S.,
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