ein Ort zum Hingehen, Dietkirchen über der Lahn, Foto: hinsehen.net E.B.

Religion, ortlos verortet

Die Flughäfen und Bahnsteige sind an ihren Kapazitätsgrenzen. Wir sind unterwegs. Ob wir anderswo etwas suchen, was wir ‚“vor Ort“ nicht finden. Sonntag an meinem Ort oder unterwegs sein? Der Mensch ist seit jeher weltweit unterwegs.

Anders als z.B. Schimpansen oder Gorillas sind wir nicht sesshaft. Diese nahen Verwandten, wir haben mehr als 90% des Genoms gemeinsam, haben nicht wie der Mensch ihre Ursprungsorte verlassen. Anders der Mensch. Er ist bis in die Eiszonen und auf verlorene Inseln der Meere gekommen.  Der Mensch ist unterwegs. Mit den technischen Möglichkeiten des industriellen Zeitalters kann man mit 30 schon auf jedem Kontinent gewesen sein. Es zieht uns in die Ferne. Und dann wieder zurück. Aber offensichtlich ist der Ort, an dem unser Kleiderschrank steht, nicht so heimelig, dass wir es da aushalten. Sind wir einmal umgezogen, wird der neue Wohnort auch Ausgangs- und Rückkehrort unseres Unterwegsseins. Nur einige von uns hängen an einem bestimmten Ort einer Landschaft.

Die Weltreligionen brauchen ortlose Missionare

Die Religionen, die heute Anhänger auf der ganzen Welt haben, sind nur durch die Ortlosigkeit ihrer Missionare möglich geworden. Erstaunlich ist, dass nicht nur das Christentum, sondern Buddhismus, Judentum und Islam Menschen verschiedenster Kulturen ansprechen. Es muss etwas im Menschen geben, das auf die Predigt der Missionare reagiert. Deshalb konnten sie sich über alle Kulturen ausbreiten. In diesen Religionen ist ein Kern, der über die Grenzen hinweg treibt. Aufbrechen ist daher Kennzeichen einer Weltreligion.

Religion braucht Wallfahrt

Im Zeitalter des Tourismus scheint es so, als hätten die Menschen jetzt erst ihr Fernweh entwickelt. Das ist jedoch eine Fehleinschätzung. Wahrscheinlich waren im Mittelalter nicht nur prozentual, sondern auch zahlenmäßig mehr Menschen nach Santiago de Compostela und zurück unterwegs. Das gilt auch für die anderen Religionen. Die Gläubigen zieht es an Orte einer besonderen religiösen Verdichtung. „Man muss da gewesen sein“. An diesen Orten werden die Pilger erwartet und können an großen religiösen Zeremonien teilhaben, ob sie die Kaba umkreisen, die Tempelmauer berühren oder an der Mittwochsaudienz auf dem Petersplatz teilnehmen. Sie können sich willkommen fühlen, anders als Touristen, die sich unter die Bürger einer Stadt, ob zu Fuß, mit dem Auto oder im Bus einreihen müssen.

Orte, an denen man sein kann

Die Pilger müssen nicht an den heiligen Orten bleiben, sie kehren nach Hause zurück. Denn jede der Weltreligionen hat Riten und Frömmigkeitsformen entwickelt, die unabhängig vom jeweiligen Ort praktiziert werden können. Es sind die heiligen Bücher, die das ermöglichen. Da Gott, anders als bei den frühen Religionen, nicht an ein Territorium gebunden ist, sondern, wie Jesus sagt, überall angebetet werden kann, ist „er mitten unter ihnen“, auch wenn sich nur drei versammeln. Im Christentum ist die Gegenwart Jesu durch die Eucharistie in Brot und Wein gegeben. Das ermöglicht es, überall auf der Welt in einer Synagoge, einer Kirche, einer Moschee für den jeweiligen Tag eine Heimat zu finden. Das Erstaunliche, was die Weltreligionen leisten: Jeder kann hingehen, es gibt keine Einlassgebühr, man kann etwas spenden oder auch nicht.

Soll man sonntags unterwegs sein oder zu Hause bleiben?

Es muss Zeiten gegeben haben, in denen die Menschen zu viel unterwegs waren. Für den jüdischen Sabbat gilt das Gebot, nicht herumzulaufen. Als Gegenpol gegen die oft verlotterten Wandermönche hat Benedikt die „stabilitas loci“, Ortsansässigkeit, in seine Regel geschrieben. Man bleibt in dem Kloster, dessen Gemeinschaft man sich angeschlossen hat. Franz v. Assisi war jedoch unterwegs und hat seine Mönche durch die ganze Welt geschickt. Die Dominikaner sind als Gemeinschaft von Wanderpredigern gegründet.  Ignatius v. Loyola schrieb in seine Regel, dass es charakteristisch für den Jesuiten ist, „verschiedene Orte  durchwandern.“ Die verschiedenen Bewegungen zeigen, dass einmal „unterwegs sein“ das Bessere ist, das andere Mal, sich zu Hause aufzuhalten. Im Christentum gibt es dafür keine Vorgaben. Es gibt nur die grobe Orientierung, dass es für viele gut ist, nicht am Ort zu bleiben, für andere aber gerade das den Sonntag ausmachen sollte. Gilt das auch für den Ort der Ortlosigkeit, mein Smartphone: Soll ich es sonntags mundtot machen? Das erfordert eine gründliche Überlegung, die in einem weiteren Beitrag folgt.



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