Städte waren einmal bevölkert von Menschen, die Flaneure genannt wurden. Von Italienern kennt man das Bella-Figura-Machen, was jedoch wie ein Auftritt auf einer Theaterbühne inszeniert ist. Der Flaneur will dagegen erkunden, nutzt das Gehen zum Denken. Er genießt das planlose Spazierengehen, er streift umher und ist vor allem eine literarische Figur. Die Figur des Flaneurs steht für eine Form der Lebenskunst, für das genussvolle Beobachten der kleinen Dinge, die das Denken entzünden können.
Das Gehen ist im 21. Jahrhundert beschwerlich geworden. Entweder macht man sich zu einer Wanderung oder zum Pilgern auf oder geht durch eine Großstadt und kann oft nur mühsam vorankommen, weil die Straßen zu voll sind. Menschen mit Einkaufstaschen, Touristen auf der Suche nach dem nächsten Highlight ergießen sich wie ein großer Strom durch manche Innenstadt. Man hat sich daran gewöhnt, von A nach B zu kommen. Im Urlaub werden in einer Altstadt die Punkte angesteuert, die man gesehen haben soll. Das Herumstreunen und Entdecken von kleinen Aufmerksamkeiten ist auch eine besondere Leistung, weil viele Innenstädte sich sehr ähneln.
Der Reiz der Randgebiete
Der Flaneur, der Herumstreuner wird sich aufgrund der Erfahrungen, die er in den Innenstädten macht, an den Rand begeben. Dort ticken die Uhren noch anders. Die Gehgeschwindigkeiten sind dort langsamer und die Menschen wirken nicht so rastlos, sodass sich der Flaneur in aller Ruhe seinem eigenen Fluss hingeben kann. Die Atmosphäre in fast jeder größeren Stadt ist im Einkaufsstraßenkern sehr ähnlich. Einige wenige Meter aus diesem Kreis herausgetreten, entfaltet die Stadt ihre Persönlichkeit. Es ist dabei gar nicht mehr die Stadt, es sind die Stadtbezirke oder Stadtteile. Wie ein abgeschlossenes Dorf wirken manche Quartiere. Einige Städte sind durch einen Fluss getrennt, da gibt es dann die richtige und die falsche Seite. Im Ruhrgebiet sind es Autobahnen, vierspurige Straßen, Bahntrassen oder Industriegebiete, die Gebiete zerteilen oder auch ganz von der übrigen Stadt abtrennen. Der Stadtteil Bissingheim im Duisburger Süden ist ein solch abgeschnittener Stadtteil. Nur eine Straße führt dort hin, Bahnlinie, Autobahnen schneiden diesen Ort vom Rest fast vollständig ab. Dort könnte der Flaneur herumstreunen, er wird es allerdings kaum tun, da er Publikum braucht.
Das Herumstreunen braucht Öffentlichkeit
Der Flaneur, der Herumstreunende braucht die Achtungslosigkeit der anderen, um sich erhaben fühlen zu können, da er etwas sieht, was die anderen nicht beachten. Es ist eine Besonderheit an einer Fassade, die Farbe einer Tür, die Kombination bestimmter Formen und Farben. Und manchmal ist es auch der Witz, den der Herumstreunende entdeckt. Wenn in Essen der Flaneur vom Kennedyplatz auf den Dom schaut, sieht er eine Skulptur, einen Hahn und denkt gleich „Und abermals krähte der Hahn“. Hat der Bischof, der hinter dem Dom residiert, wen verraten? Gerne würde der Flaneur sein Denken mitteilen. Doch er ist auch der einsame Wolf, der durch die Straßen streift und in seine Einsamkeit verliebt ist. Der Flaneur ist ein Stadtführer, der lediglich darauf hinweist, wie man eine Stadt entdecken kann und dem Geister zu folgen scheinen statt reale Touristen.
Das Beobachten ist Zufall
Ein angestrengtes Suchen nach Attraktionen, nach einem Kleinod oder einem Juwel verführt dazu, ein Eroberer zu sein, der seine Fundsachen abhakt. Das Herumstreunen und Entdecken folgt dem Gesetz des Zufallens. Ein Giebel, der schmucklos ist, kann durch das durch ihn ausgelöste Denken zu einer neuen Entdeckung führen, zu einer ungewohnten Denkkombination. Das Herumstreunen und Beobachten ist absichtslos. Es ist eine Übung, den gewohnten Sehmustern durch den Zufall etwas entgegen zu setzen. Die Gegenstände, Häuser, Menschen, Tiere, Pflanzen und Bäume werden als bedeutungslos auf Reset gestellt und der Flaneur lässt sich auf das ein, als was diese wahrgenommenen Objekte erscheinen. So ergeben sich ungewohnte Bedeutungen und es gibt immer wieder neue Denkbewegungen.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!