Genauso falsch ist das Buße-Tun für die Sünden anderer an Karneval, soll dieser doch die Sünde deutlich machen, damit man den Kontrast der Fastenzeit spürt.
Das Lager des Teufels ist laut, obszön, es stinkt
Wer die Funktion von Karneval verstehen will, kann im Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola nachschauen. Dort werden unter dem Titel „Zwei Banner“ das Heerlager Jesu wie das des Teufels dargestellt. Ignatius fordert den Meditierenden zuerst auf, sich das Lager des Teufels vorzustellen, zu riechen und zu hören, um was es geht:
„Sich vorstellen, wie wenn der Anführer aller Feinde sich in jenem großen Feldlager von Babylon niederließe, wie auf einem großen Thron von Feuer und Rauch, in furchtbarer und schrecklicher Gestalt.“ Dann werden die Dämonen zusammengerufen. Der Teufel befiehlt in seiner Ansprache „Netze und Ketten auszuwerfen: dass sie zuerst mit der Begierde nach Reichtum in Versuchung führen sollen, wie dies in den meisten Fällen zu geschehen pflegt, damit man leichter zu eitler Ehre der Welt gelange und danach zu gesteigertem Hochmut.
Das ist in der alemannischen Fasnet noch am besten zu beobachten. Die Laster werden in den Tiermasken dargestellt, so der Geiz in der Fuchsmaske, Unzucht wird durch den Ziegenbock und den Hahn symbolisiert, die Hoffart im Pfau. Eine große Rolle spielt der Narr, im Mittelalter die Titulierung dessen, der den Schöpfer nicht aus den Werken der Schöpfung erkennen kann.
Augustinus ist Pate des Karnevals
Der rheinische Karneval wird uns als „Spaß an der Freud“ vorgestellt. Aber wie verbreitet der Karneval seine spezifische Freude? Er macht sich über andere lustig, das trifft vor allem die Politiker, auch sog. Kirchenfürsten. Obwohl die Größen des Showgeschäfts die Narretei das Jahr über auf die Spitze getrieben haben, kommen sie fast nie vor. Im Karneval wird nicht gelobt, sondern verächtlich gemacht. Die Ursprünge liegen bei einem Nordafrikaner, der die Vorstellung von den „Zwei Reichen“ entwickelte, die im Mittelalter eine politische bestimmende Idee wurde – und dem Karneval zugrunde liegt.
Das Heerlager Jesu: Armut, Demut, Hilfsbereitschaft
Augustinus‘ „Gottes-Staat“ verortet die Existenz des Menschen zwischen zwei Reichen. Das eine wird vom Teufel und seinen Dämonen beherrscht, das andere von Jesus Christus. Der Mensch muss sich für eines der beiden Reiche entscheiden. Genau das geschieht im Übergang zur Fastenzeit und hat in den Exerzitien seinen Niederschlag gefunden. Das Reich Jesu wird in den Exerzitien so geschildert, eben so, wie es in der Kirche zugehen soll:
Erwägen, wie sich Christus, unser Herr, in einem großen Feldlager jener Gegend von Jerusalem an einen demütigen, schönen und freundlichen Ort stellt. Wie der Herr der ganzen Welt so viele Personen, Apostel, Jünger usw. auswählt und sie über die ganze Welt hin sendet und sie seine heilige Lehre über alle Stände und Lebenslagen der Personen ausstreuen.
Die Rede erwägen, die Christus, unser Herr, an alle seine Diener und Freunde hält, die er auf einen solchen Kriegszug schickt, indem er ihnen empfiehlt, allen helfen zu wollen, indem sie sie - zuerst zu höchster geistlicher Armut und, wenn seiner göttlichen Majestät damit gedient ist und sie sie erwählen will, nicht weniger zur aktualen Armut bringen; - zweitens zum Wunsch nach Schmähungen und Geringschätzung; weil aus diesen beiden Dingen die Demut folgt. Es sollen drei Stufen sein: - die erste: Armut gegen Reichtum; - die zweite: Schmähung oder Geringschätzung gegen die weltliche Ehre; - die dritte: Demut gegen Hochmut. Und von diesen drei Stufen aus sollen sie zu allen anderen Tugenden hinführen.
Im Kontrast sich für das Reich Jesu entscheiden
Die kommenden 40 Tage der Fastenzeit sind dem Aufenthalt Jesu in der Wüste nachgebildet. In diesen Wochen hat Jesus keine Nahrung zu sich genommen. Der Volkskunde Dietz-Rüdiger Moser hat in seinem Buch „Fastnacht, Fasching, Karneval. Das Fest der ‚verkehrten Welt‘“ diese Wurzeln des Karnevals als Gegenwelt zur Fastenzeit dargestellt. Es ist die Welt des Teufels, der Laster, die in den Masken dargestellt werden. Damit also die Menschen sich in der Fastenzeit für das Reich des himmlischen Königs entscheiden können, braucht es die Darstellung des Gegenreiches, das des Königs der Unterwelt. Der Mensch selbst muss in seinem Zwiespalt dargestellt werden.
Dafür gibt es im späten Mittelalter einen großen literarischen Erfolg, nämlich Sebastian Brants „Narrenschiff“, 1494 in Basel gedruckt, vor Luthers Bibelübersetzung das erfolgreichste Buch. Die Karnevalswagen sind den Narrenschiffen nachgebildet. In einem Boot ohne Segel und Steuerruder irren die Narren ziellos auf dem Meer des Lebens herum. Am Ende des Buches wird den Narren der Weise gegenüber gestellt.
Die Zuschauer sind keine Narren
Auch hier eine Korrektur zum üblichen Sprachgebrauch. Das Publikum steht nicht für die Narren, sondern diejenigen, die in Büttenreden und auf den Karnevalsschiffen in ihrer Dummheit der Menge vor Augen geführt werden. Zwar können die Menschen das Närrische auf sich beziehen, aber sie sind zuerst einmal Zuschauer, denen die Narren vorgeführt werden. Weil so viel Dummheit herrscht, bleibt der Karneval eine notwendige Einrichtung. Im mittelalterlichen Verständnis wäre er auch heute eine Art Reinigungsbad. Zudem hat er auch etwas Versöhnliches: Wenn die Büttenredner die Schwächen des Normalbürgers karikieren, helfen sie ihren Zuhörern sogar, sich mit den eigenen Schwächen zu versöhnen, aber sie auch in den 40 Tagen mit Fasten, Almosen und Gebet zu überwinden.
Der Ursprung liegt im Fleischverbot
So gehörten Karneval und Fastenzeit zusammen, beide sind religiös akzentuiert. Fastnacht meint dann eigentlich den Karnevalsdienstag. Die französische Bezeichnung „Fetter Dienstag“ deutet darauf hin, dass alles Fleisch verzehrt werden musste, weil man es nicht über die 40 Tage aufbewahren konnte. Das machten im Mittealter zuerst die Klöster und dann auch die Bürger. Die Deutung als Reich der Narretei, die bis heute im Brauchtum tradiert wird, ist wohl erst später dazu gekommen. Germanisches, das lange im Karnevalsbrauchtum gesucht wurde, findet sich in der Austreibung des Winters, wenn z.B. eine Strohpuppe verbrannt wird.
Literaturhinweise;
zu den Exerzitien des Ignatius und die Herleitung von Augustinus s.:
Stefan Kiechle, Die ignatianische Meditation der Zwei Banner, Zu ihrer Traditionsgeschichte von Augustinus bis Ignatius von Loyola
Die maßgebliche Forschungsarbeit zum Karneval: Dietz-Rüdiger Moser, Fastnacht, Fasching, Karneval. Das Fest der "verkehrten Welt"; Edition Kaleidoskop, Graz 1986
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