Die Bäume wachsen nicht mehr gerade Foto: Jutta Mügge

Fake News und Informationsflut: Eine Keine-Meinung

Was war zuerst: Die Flut an Fake News, Twitternachrichten, Shitstorms usw. oder die Verunsicherung? Was bedeutet die Zunahme an populistischen Parolen und das Aufkommen autoritärer Protagonisten in der Politik? Man muss Bewegungen wie die AfD, Pegida und ähnliche Gruppierungen von ihrer Dynamik her verstehen, um nicht gleich in eine Abwehrhaltung zu gehen und die digitalisierte Gesellschaft nicht als Ungeheuer zu erklären. Die Analyse zeigt, dass geschlossene Deutungssysteme und Fake News oder die Informationsflut denselben Hintergrund haben.

Täglich twittert ein Politiker kurze Sentenzen, die wie ein Sturm durch die Medien fegen. Falsche Informationen erregen die Gemüter, sekündlich gibt es neue Nachrichten. Die Flut an Informationen kann niemand mehr wirklich verarbeiten, es ist auch kein Mensch mehr in der Lage, wahr von falsch zu unterscheiden. Um aus diesem Meer an Informationen mehr als ein wildes Rauschen zu machen, müsste man Regeln für eine Hierarchisierung und für einen Filter haben. Eine starke Meinung wäre so ein Ordnungsraster. Was nicht zu dieser Anschauung passt, wird aussortiert. Die Überforderung wird also durch eine Vereinfachung gelöst. Eine solche Dynamik gibt es in fundamentalistischen Gruppen von links und rechts. Von jeher lässt sich dabei ein Unterschied zwischen linken und rechten Gruppierungen finden. Die rechten sind hemdsärmelig, wenig differenziert und an nur wenigen Slogans orientiert. Die linken analysieren die gesellschaftliche Wirklichkeit sehr differenziert und auf einem hohen intellektuellen Niveau, auch wenn ihre Grundthesen oft einseitig und ihre Begründungen monokausal sind.

Das Schmelzen der Blöcke

Die gewohnten Blöcke von links und rechts sind spätestens mit dem Fall der Mauer zerbröselt. Die Zuordnung fällt schwerer. Und es mag manche Linke wie ein Trauma erschüttert haben, dass der ehemalige Linksextremist, Anwalt und Mitbegründer der RAF, Horst Mahler, sich vom Terrorismus lossagte und zu den Rechten wechselte. Die Toskana-Fraktion zelebrierte einen Sozialismus, der die Attitüden der Kapitalisten pflegte. Nach dem Gang durch die Institutionen stand der Weinkeller offen. Man könnte diese Entwicklungen durch die Macht erklären, die korrumpiert. Die Macht mag manche Politiker und Intellektuellen korrumpiert haben, doch maßgeblich dürfte sein, dass sich das Phänomen Macht verändert hat. Die Gruppen, die die Macht in der Gesellschaft erkämpfen wollten, hatten sie in der Hand. Arbeiterkinder konnten zum Gymnasium und anschließend studieren. Gesamtschulen- und Gesamthochschulen entstanden. Die Macht der kleinen Eliten war durchbrochen und später konnten Selfmade-Millionäre wie Bill Gates zu den reichsten Männern dieser Erde werden. Der Marktwert einer Meinung sank, denn es ging um Macht und Reichtum. Ideologische Kämpfe waren absurd geworden. Die Arbeiter, so könnte man verkürzt formulieren, waren oben angekommen. Ein linkes Manifest schien überflüssig. Zumindest in der westlichen Welt haben Menschen Zugang zur Bildung, wie es in vergangenen Jahrhunderten nicht vorstellbar war. Die Frage ist nicht mehr, ob untere Schichten überhaupt einen Zugang haben dürfen. Die Frage ist die nach der Verteilung, wer bekommt wie viel vom Kuchen. Das Bild von der Schere zwischen Arm und Reich suggeriert, dass es lediglich Unterschiede gibt, aber die grundsätzliche Frage geklärt ist.

Meinungen versus Meinung

Wenn eine Grundsatzdiskussion nicht mehr geführt werden muss, kann man mit einem Gegner einer Meinung sein, auch wenn der Habitus des anderen noch stören mag. Unterschiede in der ideologischen Auffassung sind diskutierbar. Der politische Gegner ist kein Feind mehr, sondern jemand, der eine andere Meinung oder einfach nur ein anderes Parteibuch hat. Man hat eine andere Meinung, ist jedoch nicht mehr anderer Meinung. Um sich noch erkennbar zu machen, muss man eine Meinung aufblähen. Es entsteht eine Aufgeregtheit über Meinungen, nicht über grundsätzliche Anschauungen. Damit solche Meinungen Futter bekommen, müssen Informationen verbreitet werden. Dabei ist der Wahrheitswert kaum von Bedeutung. Die sich intellektuell oder aufrichtig Gebenden kümmern sich um die Unterscheidung der Nachrichten und verlangen einen Zugang zu den digitalen Möglichkeiten für jeden. Die anderen machen aus dem multiplen Angebot der Meinungen das Gespenst der Verwahrlosung und kehren zu einer grundsätzlichen Meinung zurück. Fake News u. ä. sind daher die eine Seite der Medaille, die andere ist der Fundamentalismus. Die Lösung scheint nicht zu sein, eine klare Meinung zu vertreten und den Rechten oder Fundamentalisten ein humanistisches Weltbild entgegenzuhalten, sondern Meinungsbildung in dem Sinne zu vertreten, dass ein Phänomen wie Meinung ambivalent ist. Das Ergebnis einer Diskussion ist dann optimal, wenn ein konkretes Phänomen lediglich als Phänomen eindeutig bestimmt wird, die Meinungen darüber jedoch vielfältig, widersprüchlich und möglicherweise sogar absurd sein können. Man muss am Ende noch nicht einmal eine Meinung dazu haben. Die Aufgeregtheit, die Twitternachrichten, Fake News etc. provoziert, hätte sich gelegt.



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