Wir können dieses Selbstverständnis an dem Medium überprüfen, in dem sich unsere Individualität heute ausdrückt, dem Smartphone. Es gibt nicht mehr nur die Homepage, die von jedem Router auf der Welt geöffnet werden kann. Jeder findet in den Social Media, angefangen bei Facebook, seinen Platz, den er mit einem Profil ausstatten kann. Wie im normalen Leben hat jeder seine Adresse, ob über E-Mail oder in den Social Media. Jeder kann auch inzwischen bestimmen, mit welchem Newsletter, welcher Nachrichtenauswahl er welche Informationen erhalten will und von wem die letzten Posts auf der eigenen Facebookseite erscheinen sollen. Wenn dann noch die Flatrate hinzukommt, dann ist der einzelne digital ganz Individuum.
Immer verbunden
Die digitalen Medien machen aus dem durchschnittlichen Zeitungsleser und Zuschauer ein profiliertes Individuum. Mit seinem Nutzer- wie seinem Konsumprofil und mit allen "Freunden und Freundinnen" identifizierbar. Schauten früher einmal die Menschen bei nur einem Fernsehprogramm abends den gleichen Krimi, so wischt sich heute jeder individuell durch sein Smartphone. Nicht mehr ein Fernsehprogramm ist der Absender, sondern viele einzelne posten, schicken, senden mir etwas und ich kann es mit anderen, die ich individuell auswähle, "teilen". War ich früher über die Lokalzeitung, Radio- und Fernsehen sowie durch das Telefon erreichbar, gibt es heute sehr viel mehr Wege, an mein Ohr oder unter mein Auge zu gelangen. Konnte ich früher allenfalls anrufen oder einen Brief schreiben, gibt es heute die Mail, Facebook, WhatsApp und verschiedene Messengerdienste. Je mehr ich meine Individualität mit Profil ausstatte, desto mehr bin ich mit anderen verbunden.
Ermüdung der Individualität
Offensichtlich gibt es nicht mehr so viel Individualität, wenn ich mich zurückziehe. Denn ich muss ständig meine Präsenz zeigen, um nicht aus dem Netz zu fallen. Offensichtlich prägt sich meine Individualität mit der Zahl meiner Kontakte und der von mir gesammelten Daten weiter aus. Zumindest werde ich dann individueller angesprochen. Es wiederholt sich im digitalen Zeitalter allerdings auch die von Hegel beschriebene Dialektik. Wenn ich einen Aspekt auspräge, entwickelt sich dessen Gegensatz. Was früher z.B. mit der Zeitung nicht möglich war, gelingt mit Facebook. Ich kann die Zahl meiner Freunde und Freundinnen problemlos steigern. Auch wenn früher sehr viel mehr Menschen über die gleiche Zeitung verbunden waren, blieben sie meist unerkannt, wenn sie nicht einen Leserbrief geschrieben oder mit einem Foto abgebildet waren. Diese durch Individualität ausgeweiteten Kommunikationsnetze verstärken, dialektisch verstanden, auch wieder ihren Gegenpart, nämlich die geforderte Aufmerksamkeitsleistung. Auf je mehr Kanälen jemand erreichbar ist, desto höhere Aufmerksamkeitsleistungen muss er erbringen. Das steigert meine Ermüdung, einfach weil mehr Transmitter verbraucht werden als wenn ich fernsehender Musik höre.
Individualität macht mich verletzlicher
Meine Individualität macht mich "angreifbar". Denn je mehr über mich bekannt ist, desto gezielter kann ich erreicht werden. Als Beispiel sei Amazon genannt. Es soll die besseren Daten über mein Kaufverhalten haben als Google und kann damit mehr Einnahmen durch Werbung erzielen und mich gezielter ansprechen. Werbung, die auf mein Profil abgestimmt ist, wird von mir nicht so leicht abgewehrt als anzeigen in einer Illustrierten oder auf Plakatwänden. Je mehr ich von meinen Interessen und damit von meiner Individualität kundtue, desto mehr Informationen, Kaufanstöße, Gesundheitstipps erreichen mich und desto weiter werde ich durch Links herumgereicht.
Folge ich der Empfehlung der Sonntagsruhe, dann sollte ich am Wochenende nicht so viele Daten freigeben, mich nicht mit Werbung im Internet beschäftige, nicht im Internet einkaufe, einfach einige Kanäle schließen. Das muss nicht gerade das Telefon sein, aber vielleicht das Internet und die Social Media.
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