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Deshalb Sonntag: Freiheit braucht Kraft

Wenn die Arbeitstage in das Wochenende einmünden, dann versuchen wir, die Widrigkeiten abzuschütteln. Aber wir können uns kaum frei fühlen.

Viele Möglichkeiten, doch ständig bleiben wir stecken

Wir könnten alles Mögliche machen, aber wir werden daran gehindert. Staus lassen uns nicht pünktlich ans Ziel kommen, irgendjemand verhindert, dass es weitergeht. Eine Unterschrift wird verweigert, jemand ist dagegen und blockiert, so dass ich weiterkomme. In der immer komplizierter werdenden technischen Welt muss ständig etwas repariert werden. Wir sind nicht nur mit Handy und Notebook in tausende Posts, Statusmeldungen, Terminverschiebungen verstrickt, sondern von der Bereitschaft so vieler Menschen abhängig, dass wir uns eben nicht frei, sondern abhängig fühlen. Der Berliner Flughafen ist ein Bild, wie wir unser Leben empfinden: Eine Baustelle, die nicht fertig werden will.

Nur Einzelteile

Tendiert unser Leben tatsächlich dazu, in viele Einzelteile zu zerstäuben, in tausende Termine, Anrufe, Mails, Erledigungen? Zerreiben wir uns an den Hindernissen, den Verzögerungen, den nicht funktionierenden Geräten? Unser innerer Mensch stemmt sich gegen diese Welt. Ich will frei sein, mein Leben leben. Daran werde ich durch viele kleine Hindernisse gehindert. Ich kann nicht verwirklichen, was ich auf die Beine stellen will, nicht werden, der ich sein will. Manchmal überkommt mich das Gefühl, dass irgendeine Macht mich hindert, ich selbst zu sein. Da komme ich gar nicht mehr zu, denn meine Energie wird von den vielen Dingen, die sich quer stellen, verbraucht. Und dann soll ich mich noch für die ganze Welt interessieren, für den Krieg dort, die Flüchtlinge hier und das viele andere, das schief läuft.

Mich auf mich besinnen

Wir müssen heute nicht mehr um die Freiheit kämpfen, so wie in Zeiten der Diktatur oder als die Demokratie gegen die Adelsherrschaft durchgesetzt werden musste. Es ist eine andere Freiheitsberaubung. Die technische Welt, in die wir hinein verflochten sind, braucht so viel Zusammenspiel und guten Willen, dass wir vom Funktionieren der Lieferdienste, der Provider, derjenigen, die in den Stellwerken der Bahn die Weichen stellen, der Bankangestellten, der Sprechstundenhilfen abhängig sind. Wenn ich durch dieses Gewirr mein Lebensschiff steuern will, dann muss ich zwischendurch auf Abstand gehen. Daher die jüdische Weisheit, am Sabbat keine Geschäfte zu betreiben, den Erledigungszwang zu unterbrechen. Wenn ich mich nicht aus den Verstrickungen löse, dann besetzen sie mich immer mehr.

Freiheit beginnt mit dem Rückblick

Ich brauche das Wochenende, um mir anzusehen, was in der Woche gelaufen ist, was ich eigentlich gemacht habe. Wurde ich von außen durch die Stunden getrieben und habe ich dadurch das Steuer aus der Hand gegeben? Wie ist es mir dann doch gelungen, in einer schwierigen Situation das Steuer meines Lebensschiffes in der Hand zu behalten? Woran lag es, dass ich mit dem Kopf unter Wasser gezogen wurde? Welche Fehler habe ich gemacht? Wo habe ich auf Kosten anderer mich vor einer Schwierigkeit gedrückt, etwas nicht in die Hand genommen, Arbeit abgewälzt? Vor allem muss ich mir ansehen, wo ich das Steuer meines Lebensschiffes aus der Hand gegeben habe. War ich feige, war mir die Anstrengung zu groß, bin ich in mein Suchtverhalten zurückgefallen?

Kräfte für die Freiheit sammeln

Am Wochenende kann mir klar werden, dass ich mich deshalb in den Kleinkram verklebe, weil mir einfach die Kraft fehlte. Freiheit kostet Kraft, um aufmerksam zu bleiben, Entscheidungen anzugehen, mit Widerstand umzugehen, neugierig zu bleiben. Die Therapie ist ganz einfach: Unsere biologische Basis braucht Pflege. Unser Nervensystem, Schlaf, Verdauung funktionieren, wenn wir in Bewegung bleiben. Wir stammen nicht von den Baumaffen ab, sondern von Steppentieren. Deren Organismus, auch die Produktion der Enzyme und Hormone, wird durch Bewegung in Gang gehalten. Freiheitseinschränkung kann die Folge von Bewegungsmangel sein. Wenn wir unsere Vitalität zurückgewinnen, dann kann sich auch eine Woche mit Ihren tausend Anforderungen ganz anders anfühlen.

Sonntagserfahrungen in der Woche machen

Wenn ich immer wieder ausgelaugt von den Fremdbestimmungen im Wochenende ankomme, dann sollte ich mich fragen, ob das so sein muss. Ich könnte doch sonntäglicher durch den Alltag gehen. Der Himmel hat sich doch in der Woche öfters für mich geöffnet. Es gab diese Sonntagseindrücke, eine Melodie, die mir zugeflogen ist, ein Lächeln, das mir über eine Enttäuschung weggeholfen hat, etwas, das doch noch geklappt hat, ein Buch, auf das ich aufmerksam wurde und das ich ins Wochenende mitgenommen habe, eine Blumenstrauß, an dem sich mein Blick festhalten kann.


Kategorie: Entdecken

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