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Das System ist zu anstrengend

Die moderne Welt wirkt erschöpfend. Burnout, Ausbrennen, ist die Reaktion unseres Körpers. Nicht nur unser Körper, auch unsere Seele braucht mehr Atem. Sonst sind wir nicht fähig, wichtige Entscheidungen zu treffen.

Wer mit Terminen, mit seinem Handy, mit dem, was in einer Woche geschafft werden muss, eingebunden ist, wird mehr von Außen "gelebt", als dass sich das Leben aus der eigenen Freiheit formt. Die Technik und noch mehr die digitalen Medien ersticken den Freiheitselan. Das betrifft nicht nur den Einzelnen, sondern auch ein Unternehmen, eine Stadt, ein ganzes Land. Weil Verkehr, Beruf, Familie so eng gezackten sind, fällt es so schwer, auf die Umweltprobleme zu reagieren. Wir haben keinen Freiraum mehr, um es anders zu machen. Es kommt uns nicht mehr in den Sinn, dass es auch anders gehen könnte. Deshalb ist es so schwer, das Ökosystem, also die Voraussetzungen für unser Leben, im Gleichgewicht zu halten. Wenn wir weniger CO2 freisetzen, ist das keine Freiheitsbeschränkung. Denn wenn der Meeresspiegel steigt, sind Milliarden Menschen gezwungen, die Küstenregionen zu räumen. Wenn Regionen wegen zu hoher Luftfeuchtigkeit unbewohnbar werden, ist das eine massive Einschränkung der Freiheit. Es ist wie bei der Ernährung. Ich kann beliebig viel essen, aber werde damit unbeweglicher und schränke so meine Freiheit ein. 

Freiheit heißt entscheidungsfähig zu werden

Freiheit ist kein Zustand, sondern Handeln, nämlich für das eigene Leben die Entscheidungen zu treffen. Das gilt auch für Unternehmen, für Institutionen wie für Staaten. Deshalb ist die Sorge für die eigene Gesundheit notwendig, damit ich nicht nur frei denken, sondern auch handeln kann. Deshalb braucht es immer wieder Selbstbesinnung, damit ich mich nicht selbst so einenge, dass ich nur noch "muss": Weil der Terminkalender zu voll ist, ich wegen zu wenig Bewegung, zu viel Alkohol nicht genügend leistungsfähig bin. Wenn Konflikte mich lahmlegen oder die Spielräume für mein Handeln zu sehr einengen. Werden Entscheidungen hinausgeschoben, engt das noch einmal die Möglichkeiten ein. Wenn ich immer wieder den Termin für eine Prüfung hinausschiebe, kann ich nicht die nächste Hürde nehmen. Ich bin auch nicht besser vorbereitet, denn mir jedem Hinausschieben verliere ich Elan. Wenn ich am Arbeitsplatz unzufrieden bin, muss ich entscheiden, damit ich nicht in Stagnation verfalle, sondern mich weiter entwickle. In Partnerschaften und Freundschaften wirken hinausgeschobene Entscheidungen des einzelnen auf die anderen zurück. Hier wird besonders spürbar, dass Entscheidungen für die Persönlichkeitsentwicklung Voraussetzung sind, Entscheidungen, die sich im Handeln niederschlagen. Auch im Alter braucht es Kraft, selbst die Weichen zu stellen, auch für den absehbaren Fall, Pflege-"Fall" zu werden. 

Institutionen legen sich selbst lahm

Was für den einzelnen gilt, trifft auch auf Unternehmen und Institutionen zu. Es sind immer wieder Aufbrüche notwendig, die Entscheidungen brauchen. Die Umstellung auf digital gelingt, wenn man sich nicht auf die neue Technik und ihre Denkweise einstellt. So haben Die Zeitungen nicht erkannt, dass das Internet sehr viel besser Mietwohnungen, Gebrauchtwagen wie freie Stellen präsentieren kann. Mit den Rubrikanzeigen haben sie ihre Haupteinnahmequelle verloren und bis heute nicht die Entscheidungen getroffen, wie sie im Internet Geld verdienen können. Eine Lösung wäre, dass alle Zeitungen über eine Abogebühr alle ihre Beiträge auf eine Plattform stellen. Dafür würden die Nutzer zahlen. 
Die katholische Kirche hat in 9 Jahren nicht geschafft, den Missbrauch durch ihre Kleriker aufzuarbeiten. Das lähmt sie, auf die jungen Leute zuzugehen. Die religiöse Kultur müsste so weiter entwickelt werden, dass die nachwachsenden Generationen Religiosität als Chance erkennen können. Diese Kultur gibt es nicht. Da die evangelischen Landeskirchen das auch nicht entschieden genug angehen, kann der Missbrauch nicht die einzige Ursache für die religiöse Stagnation sein. Aber seine zögernde Aufarbeitung bindet die Energien, sich entschiedener für die nachwachsenden Generationen einzusetzen. Es ist das gute Versorgtsein, das zum Bleiben einlädt:

Wer viel mitnehmen muss, bleibt lieber sitzen

Wer viele Möbel, Bücher, Geschirr, Bilder hat, überlegt sich dreimal, ob er umzieht. Es ist der Überfluss, aus dem heraus der Aufbruch so schwer fällt. Das gilt auch für den Verkehr: wer einen SUV besitzt, steigt weniger leicht auf die Straßenbahn oder den Elektroroller um als der Besitzer eines Kleinwagens. 
Die Kirchen schleppen viel zu viel Vergangenheit mit sich. Es wird viel Geld in den Erhalt gesteckt, nicht nur bei den Gebäuden. Die Theologie ist hauptsächlich damit beschäftigt, die früheren Denkwege zu erforschen. Das Wissen, das dann auch den Studierenden vermittelt wird, nimmt ständig zu. Es bleibt dann fast keine geistige Kraft mehr, die Frohe Botschaft auf die neue, durch das Digitale geprägte Zivilisation zu durchdenken. Die wenig gewordenen Kirchgänger leben in einer Kultur, in die die Jungen nur wie in ein Museum hineinschauen.
Dabei kann das Digitale die Probleme nicht lösen, verschärft es es doch selbst die Einbindung in das System, das die Luft zum Atmen abschnürt. Es spült nämlich so viel mehr Informationen auf den Bildschirm, dass es die Nutzer kraftlos zurücklässt. Wir wissen zu viel, um noch Raum für Entscheidungen freizuhalten. 

Nur "Weniger" hilft weiter

Wir sind offensichtlich am Ende einer Epoche angelangt. Wir ersticken wie im späten Mittelalter oder im Rokoko am Zuviel.  Am Ende des Mittelalters war es Luther, am Ende des Barockzeitalters die Aufklärung, die mit einem Kahlschlag das System zerschlugen. Die Ökologiebewegung schafft es vielleicht sanfter - weniger Autos, weniger Staus, bessere Luft, mehr Zeit für den Freundeskreis und die Familie. Weniger Handyzeit, dafür mehr Meditation und Philosophie. Ein System, das sowohl die Pflanzen überleben lässt und uns nicht unserer psychischen Ressourcen beraubt. Genau das ist die jüdische Kultur des freien siebten Tages.


Kategorie: Analysiert

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