Angst, Kontrollverlust, Ungewissheit und noch mindestens ein Dutzend weiterer negativ konnotierter Begriffe hatten mich erfasst. Jetzt, fünf Monate nach meiner Diagnose, nach zwei erfolgreichen hochdosierten Chemotherapien, einer Immunsupression und Stammzellentransplantation möchte ich das Wort „Dankbarkeit“ ganz bewusst nutzen.
Pragmatismus
Natürlich hat mir die Diagnose erst einmal völlig den Boden unter den Füßen weggehauen. Da es keine Symptome oder Hinweise darauf gab, dass mit meinem Körper etwas nicht stimmen könne, war ich völlig unvorbereitet auf eine derartige Botschaft.
Als die Diagnose kam und ich sie an meine Eltern weiter kommuniziert habe, damit sie mich in Krankenhaus fahren, waren meine ersten Worte: „Der Verdacht hat sich bestätigt, ich habe Leukämie, ich will jetzt kein Geheule oder sonst was, kommt und bringt mich ins Krankenhaus“. Vielleicht kann man es auch Überlebensmodus nennen. Ich wusste genau, dass wenn ich in diesem Moment des Schocks die Angst und Trauer zulassen würde, sie mich in ein Loch ziehen würden. Dabei musste ich in diesem Moment funktionieren, weil die Diagnose natürlich einen ganzen Rattenschwanz an To-Does bereithielt. Arbeitgeber informieren, den engsten Freundeskreis. Tasche packen. Wie lange werde ich im Krankenhaus bleiben? Was brauche ich unbedingt, was kann man später holen? Was passiert mit meiner neuen Arbeitsstelle? Wie zahle ich die nächsten Monate meine Miete, wenn ich nicht arbeite?
Akzeptanz
Zu Beginn meiner Krankheit habe ich natürlich die Diagnose recherchiert. Was ich jedoch schnell wieder verworfen habe, da Dr. Google eher im Team Apokalypse spielt anstatt auf der Seite der Optimisten. Auch die Gespräche mit meinen Ärzten haben mir schnell bewusst gemacht, dass ich oder meine Lebensweise keine „Schuld“ an der Erkrankung tragen. Daher habe ich schnell akzeptiert, dass die Erkrankung nun einmal da ist und mir niemand die Frage „Warum hat es mich getroffen“ beantworten kann. Was bringt es mir also, mich lange mit dieser Art von Fragen zu beschäftigen? Natürlich hat es immer mal wieder Tränen gegeben. Gerade am Anfang in der Notaufnahme, wo ich mit Begriffen konfrontiert wurde, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich mich jemals mit ihnen beschäftigen muss: Chemotherapie, Kryokonservierung, Stammzellenspende. Mit einem Szenario habe ich mich aber tatsächlich zu keinem Zeitpunkt auseinandergesetzt: Der Frage, was ist, wenn ich es nicht schaffe. Denn für mich stand von Minute eins unweigerlich fest: Ich bin 31 Jahre alt, habe mir ein Leben aufgebaut, dass ich über alles liebe und in dieses Leben werde ich schnellstmöglich und bestmöglich zurückkehren. Eine Alternative gab es für mich nicht.
Glück im Unglück
Ob solch eine Erkrankung ein Unglück, Pech, Schicksal oder einfach nur eine Fügung des Lebens ist, kann ich nicht beantworten. Doch mir hat es unsagbar geholfen, mich auf die kleinen Glücksmomente zu konzentrieren, die ich während dieses „Unglücks“ hatte. Denn glücklich konnte ich mich oft schätzen: Dass die Erkrankung durch Zufall früh genug festgestellt werden konnte, ohne dass ich Symptome hatte. Dass mir dadurch noch die Zeit vor der Chemotherapie geblieben ist und mein Zyklus so perfekt abgestimmt war, um Keimzellen einfrieren zu lassen. Dass mein einziger Geschwisterteil als perfekter Spender in Frage kommt.
Die Besinnung darauf, wie viel Glück im Unglück ich hatte, hat mir enorm geholfen, mit Rückschlägen, wie der Lungenentzündung nach der ersten Chemotherapie, der Coviderkrankung unmittelbar vor dem ersten geplanten Transplantationstermin oder sämtlichen Nebenwirkungen umzugehen und meine positive Einstellung nie zu verlieren.
Dankbarkeit
Auch wenn ich aktuell in Remission und nach der Stammzellenspende bin, ist mir bewusst, dass noch ein langer Weg vor mir liegt und der „Krebs“ immer ein Teil meines Lebens sein wird. Doch die Erfahrungen, die ich in den letzten Monaten machen durfte und musste, die Menschen, denen ich begegnet bin oder deren Unterstützung ich auf eine komplett neue Art und Weise erfahren konnte, haben mich bereits zu einem positiveren, gelasseneren und demütigeren Menschen gemacht.
Zu erleben, wie viele Menschen in meinem sozialen Umfeld, im engeren und weiteren, Anteil an meiner Krankheit nehmen, wie sehr ich mich auf meine Freunde und ihre Unterstützung verlassen kann, ist einfach überwältigend. Auch für das Ärzte-Team und Pflegepersonal bin ich dankbar, das mich nicht nur medizinisch gut versorgt hat, sondern auch menschlich für mich da war. An einige werde ich mich noch lange erinnern, die mich mit ihrer Passion für den Beruf oder ihrer individuellen Lebensgeschichte inspiriert und motiviert haben.
Rückblickend betrachtet habe ich mein Leben die vergangenen Jahre immer vor mich her gelebt, einen Meilenstein nach dem nächsten. Durch die Diagnose und den Therapieprozess musste ich jedoch so schnell wachsen, dass ich in der kurzen Zeit bezüglich meiner Sicht auf das Leben, meiner Einstellung und emotionalen Reife eine derartige Entwicklung durchlebt habe, für die ich ohne die Krankheit vielleicht Jahre gebraucht hätte. Heute freue ich mich ganz anders auf neue Herausforderungen im Leben und fühle mich auch bereit für das, was noch kommt.
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