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ChatGTP und das Buch

Die Buchmesse widmet sich in ihrer Vortragsreihe den neuen Text-Generatoren, ChatGTP und den anderen Chatbots. Sie beanspruchen nicht nur Lesezeit, die dem Buch fehlen wird. Sie produzieren auch Lesestoff, für den die Nutzer kein Buch mehr brauchen. Das betrifft vor allem die Geisteswissenschaften, auch die Theologie. Wie arbeiten die Algorithmen:

Die maschinell erzeugten Texte werden unser Wissen uniformieren, sie werden das, was die Mehrheit von der Welt weiß und wie sie sich die Welt vorstellt, verstärken und Neues erst „ausspucken“, wenn es im Internet oft genug angeklickt wurde. Das schon zeigt, dass das Buch das innovative Medium blieben wird. Nicht die Lexika und Handbücher, die vorhandenes Wissen zusammenstellen. Das können Algorithmen auch. Das Buch wird sich dann behaupten, wenn es Neues verspricht.

Nur Innovation bewältigt die Zukunft – die Chatbots nicht

ChatGTP und andere Chatbots werden unsere Kultur uniformieren. Nach dem gleichen Prinzip wie Google funktioniert, setzen Wörter, die häufiger gebraucht werden, in einen Text. Da sie eine Frage nicht „verstehen“, sondern nur den Begriff festhalten und ihm die Worte, die auf ihn in Internet-Texten folgen, anhängen und dann das Wort, das am meisten auf das zweite Wort folgt, kommt das in den mathematisch zusammengestellten Texten zur Sprache, was die Mehrheit bereits denkt. Da die Chatbots auf Internetseiten zugreifen, ist nur das von ihnen zu erwarten, was schon im Netz zu finden ist. Nur einfacher, als sich mit Google durch viele Seiten durchzuklicken und diese auch zu lesen. Da die Geisteswissenschaften zu einem guten Teil geschriebene Texte interpretieren, trifft sie das ins Mark. ChatGTP wird zum direkten Konkurrenten, weil im Internet schon viele Interpretationen, z.B. von Platon oder Kant zu finden sind. Da die Algorithmen Texte nicht beurteilen können, werden auch Theorien und Behauptungen weitergegeben, die nicht zutreffen. Der Verdacht, ein Fake auf dem Bildschirm vor sich zu haben, wird auch auf ChatGTP fallen und die Nutzer verunsichern. Wenn die Geisteswissenschaften nicht dagegenhalten.

Erste, weitreichende Konsequenzen für die Geisteswissenschaften

  1. 1. Das menschliche Gehirn geht andersherum vor. Es entwickelt einen Ablauf und sucht dann erst die Worte, um den Gedankengang darzustellen.
  2. Ein Textalgorithmus reiht Worte aneinander, die er selbst nicht versteht.
  3. Gehirne denken, wenn sie nicht auswendig lernen, neu. Der Algorithmus kann nur auf Gedachtes, das auch noch geschrieben wurde, zurückgreifen.
  4. Da er mit Texten aus dem Internet gefüttert wird, vereinfacht er die Nutzung des Mediums und wird Google ins Abseits schieben. Er ist, weil er wie Google nach Häufigkeiten vorgeht, nicht mehr von Suchmaschinen abhängig, weil er die Texte Wort für Wort durchgeht und selbst die Häufigkeiten in ein Ranking bringt.
  5. Er ist dem Menschen in zweifacher Hinsicht überlege
    - Er verfügt über den Wortschatz von Milliarden Internetseiten, kann sich also aus einem
      weitaus größeren Wortschatz bedienen als z.B. die Experten, gegen die Teilnehmer einer
      Quizz-Show antreten
    - Er ist wesentlich schneller, weil die Chips den Strom nicht wie unsere Nervenbahnen
        über das Element Kalium in einer Flüssigkeit leiten, sondern über Metall.
  6. Die Worte werden wie in unserem Gehirn in Bedeutungsräumen lokalisiert. Diese sind von Wikipedia bereits entwickelt. Die Textmaschine kann in den jeweils angefragten Bedeutungsraum gelenkt werden, wenn nicht nur ein einzelnes Wort eingegeben, sondern dieses spezifiziert wird. Das ist vor allem bei Begriffen und Verben notwendig, die verschiedene Objekte oder Verhaltensweisen bezeichnen. So wird die Steuer, die zu bezahlen ist, bereits durch den Artikel von dem Steuer unterschieden, mit dem ein Auto gelenkt wird. Wenn die Häufigkeit eines Wortes, das auf ein vorausgehendes folgt, einem Bedeutungsfeld zugeordnet werden, kommen bereits sehr viel aussagefähigere Texte zustande. Es erklärt auch, warum Gedichte eines Autors nachgebaut werden können. Ob Shakespeare oder Rilke, wenn sie ein eigenes Bedeutungsfeld erhalten, kann auch jeder Schüler aus den Wortfolgen neue Texte generieren, die wie von Shakespeare oder Rilke klingen. Auch darin ist der Algorithmus schneller als ein menschlicher Schnelldenker.
  7. Für die Kultur heißt das, dass aus dem gesammelten Bestand an Texten von einer Maschine beliebig viele neue Texte erstellt werden können.
  8. Damit löst sich das Problem der Plagiate ins Digitale hinein auf. Zu viele und zu lange Zitate sind demnächst Anhaltspunkte, dass die Arbeit selbst verfasst wurde.


Der Blick vom Gehirn auf die digitale Konkurrenz:


      9. Die Textmaschinen verwerten geschriebenes Wissen schneller als menschliche Gehirne.
     10. Die digital erzeugten Texte sind umso gehaltvoller, auf je mehr in Print veröffentlichte Texte digital 
           zugänglich gemacht werden. Wenn ein Wissenszweig, z.B. die Theologie, in den maschinell erstellten   
           Texten vorkommen will, muss sie ihre Texte online stellen
     11. Die von Chatbots ausgeworfen Texte werden durch niemand verantwortet und können auch keinem
           Autor zugeschrieben werden. Sie können sogar genutzt werden, Hypothetischen als gesicherte
           Wahrheit und umgekehrt abgesicherte Aussagen als widerlegt darzustellen. Die Geisteswissenschaften
           müssen ein vom Internet unabhängiges Medium aufbauen, weil sie die fehlende Transparenz der    
           Textmaschinen nicht gezielt kritisieren können. Denn ChatGTP produziert nicht gleichlautende Texte    
           auf gleiche Anfragen. Wie der einzelne Text zustande kommt, kann nicht zurückverfolgt werden
     12.  Da die Algorithmen Methoden der Geisteswissenschaften nachahmen, werden wahrscheinlich viele
            Beiträge nicht mehr über die bisherigen Medien Fachzeitschrift und Buch, sondern direkt aus einem
            Chatbots abgefragt. Je jünger die Geisteswissenschaftler, desto weniger werden sie Print lesen
13.     Der geordnete Umgang mit Zitaten wird und ist bereits ausgehebelt.

  1. 14.     Unser Gehirn fängt bei einer Anfrage nicht wie der Algorithmus bei Null an, sondern aktiviert sehr viel komplexer die Bedeutungsfelder. Diese müssen für jedes Fachgebiet in den Studien angelegt werden. Das demnächst in Konkurrenz mit Algorithmen. Dafür müssen die sprachlichen Anforderungen hochgesetzt werden, damit das Studium eine solche Qualifikation aufbaut, dass die Absolventen eines Faches etwas bieten, was man von ChatGTP nicht bekommt.
  2. Konsequenzen für geisteswissenschaftliche Arbeitsfelder
  3. 15.     Entscheidend für eine berufliche Qualifikation ist nicht mehr das Wissen, das wird von den Chatbots schneller und von Nutzern aus dem Internet herausgeholt. Berufsqualifizierend wird der aktive Wortschatz, um etwas in Sprache zu bringen, was einen Sachverhalt, ein Rechtsverhältnis, eine Erfahrung, einen Glaubensinhalt interessanter formuliert als es ChatGTP auf den Bildschirm projiziert.
  4. 16.     Da Wissensvermittlung, z.B. durch Vorträge, nicht mehr den Gang in einen Vortragssaal erfordert und die Chatbots auf enger gefasste Fragestellungen viel schneller eine Antwort geben als der Referent, der nach seinem Vortrag auf einige Fragen noch antwortet, ist mit ChatGTP den Bildungseinrichtungen bei den Jüngeren eine durchschlagskräftige Konkurrenz erwachsen.
  5. 17.     Eine Umorientierung der Studiengänge auf Sprechen und Schreiben ist auch deshalb unumgänglich, weil die Chatbots das unmittelbare Empfinden für Sprache verändern werden, das etwa so beschrieben werden kann: Sprache wird von Maschinen für den Alltags- wie für den beruflichen Gebrauch produziert. Es gibt dann Softwareproduzenten, die für die Chatbots die Texte formulieren, die Algorithmen dann in Sprache für die Nutzer umsetzen. Eine Vorform sind die Übersetzungsprogramme, die ja jedwede Sprache zu „beherrschen“ scheinen. Theater, Liturgie, Radio sollten die Herausforderung annehmen.

Wie können die geisteswissenschaftlichen Berufe die digitale Konkurrenz überholen? Auf der Datenautobahn wohl nicht. Einige Tugenden, die auch ohne die digitale Konkurrenz gelten, können die Eigenständigkeit der Geisteswissenschaftler stützen.:

  •       Es kommt in Zukunft auf Kreativität und hohes Sprachvermögen an. Deshalb sollte von Kritik auf Fördern umgestellt werden. Kritik am Neuen kann erst nach Beratung und Erklärung an dritter Stelle folgen.  
  • Erfahrungsbezogen schreiben und sprechen. Das kann das Digitale nicht, vor allem nicht authentisch. Das fordert, sich nicht länger von den Normen der empirischen Wissenschaften gängeln lassen.
  • Wissenschaft, auch die Literatur- und Religionswissenschaften, die Erzählungen interpretieren, formulieren jedoch in einer an Begriffen orientierten Sprache. Dieses durchgängige Muster sollte durch weitere Textsorten ergänzt werden. Platon wird auch heute noch gelesen, obwohl er sich nicht dieses Begriffs-orientierten Artikel-Modells bedient.
  • Kürzer und mit weniger Zitationen schreiben. Die Links haben längst das Zitieren ersetzt.
  • Wahrscheinlich wird es notwendig, die Nutzung von Chatbots für bestimmte Texte auszuschließen, so für Gerichtdurteile und ihre Begründungen, für Liturgie, für Literaturübersetzungen.

Den digitalen Werkzeugen ist zumindest eine Grenze gesetzt, sie werden bald den ganzen Strom brauchen, den Windräder und Sonnenpaneele erzeugen. Es wird für die Kultur ebenso eine Art Bio zwingend werden wie für die Landwirtschaft.

Wikipedia als Kontrollinstanz ergänzen
Die Chatbots greifen als erstes auf Wikipedia zu. Wenn die Beiträge dort weiterhin von Autoren verfasst sind, wird der Fake-Anteil der von Algorithmen verfassten Texte überschaubar bleiben. Allerdings genügt eine einzige Instanz nicht mehr. Es braucht eine Plattform, die verlässlich auf Beiträge, Bücher wie auch auf Tagungen und Weiterbildungsangebote verlinkt, die von Gehirnen und nicht von Algorithmen geprüft sind. Das ist u.a. für Verlage entscheidend, denn die Leser werden kaum noch Bücher kaufen, deren Texte sie auch aus dem Internet bekommen können.

Wer den gut verständlichen Beitrag von Helmut Linde bei Golem liest, wird feststellen, dass weitgehend Methoden der Linguistik nachgebaut sind:  „So funktioniert künstliche Intelligenz

Die Überlegungen drängen darauf, das Profil der Geisteswissenschaften neu zu justieren und die Studiengänge anspruchsvoller zu gestalten. Dazu folgt ein weiterer Beitrag


Kategorie: Verstehen

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