ehemaliger Grenzzaun bei Point Alpha in der Rhön, Foto: E.B.

AFD-Wähler sehen die Wiedervereinigung als Niederlage

Die Wähler der AFD in den Neuen Bundesländern reagieren mit ihrer Stimmabgabe auf den Westen. Der Wind, der Viele in die Arme dieser Partei treibt, kommt von dort. Er wird von dem Unterlegenheitsgefühl angezogen, das der Westen bei den Verlierern der Wende erzeugt. Mit Wirtschaft allein ist das Problem nicht zu lösen.

Es sind vor allem, aber nicht nur die Menschen, die mit wenig Lohn oder Hartz IV auskommen müssen. Es sind Menschen, die immer noch mit dem Misserfolg des DDR-Systems identifiziert werden. Denn die Wessis erklären alles für schlecht, was hinter der Mauer gemacht worden ist, erst mit der Wende sei das richtige Leben gekommen. So kann man es von denen hören, die mit diesen Menschen zusammenleben. Für diesen Bericht haben Kirchenleute und nicht Politologen u.a., die sich über Umfragewerte beugen, das Bild von den Wendeverlierern gezeichnet.

Arbeitslosigkeit als Folge der Wiedervereinigung

Die Wiedervereinigung hatte für sehr viele Menschen in den neuen Bundesländern Arbeitslosigkeit zur Folge, eine Niederlage, nicht vom Kommunismus beigebracht. Die Kinder dieser Eltern wählen auch AFD. Arbeitslosigkeit als Konsequenz war nach den Erfahrungen mit der Planwirtschaft neu. Sie musste fast als Strafe verstanden werden, weil die westlichen Firmen, die Staatsbetriebe aus dem Erbe der DDR gekauft hatten, in der Wirtschaftskrise, die auf den Wiedervereinigungsboom folgte, eher in den zugekauften Betrieben Entlassungen vornahmen als in den westlichen Stammwerken.

Auch die Ausbildung wurde als schlechter beurteilt

Dann galten die Qualifikationen, die die Menschen aus dem Bildungssystem mitbrachten, weniger. Beispiele Bundeswehr: Die Volksarmee wurde in die Bundeswehr eingegliedert. Das bedeutete für Offiziere meist das Karriereende, denn diese mussten einen Universitätsabschluss vorweisen. Den hatten Offiziere im Westen an einer der Bundeswehrhochschulen erworben, Offiziere aus der Volksarmee konnten das nicht nachholen.
Vergleichbare Erfahrungen musste Viele andere machen. Den Menschen wurde nicht nur das komplizierte westliche Versicherungs- und Abgabensystem übergestülpt, ihre eigene Vergangenheit wurde und wird mit dem Minus-Vorzeichen versehen. Wer wie Viele die Wiedervereinigung als Abstieg erleben musste, wehrt sich gegen dieses Urteil.
2015 entstand dann der Eindruck, dass die Bundesregierung sich intensiver um die Immigranten kümmert, als sie das für die Bewohner des kommunistischen Landes getan hatten.

Den Osten mit dem Gesellschaftsbild des Westens verstehen

Nicht nur ein ganz anderes Wirtschaftssystem sollten die Menschen übernehmen, sie sollten auch ihre Geschichte mit westlichen Augen betrachten. Dieser Blick beurteilt bis heute alles schlecht, was war. Man bekam vom Westen gesagt, dass man nicht Gutes aus der Vergangenheit mitgebracht hat. Man kam erst gar nicht erst in die westlichen Verhältnisse herein, weil der Arbeitsplatz erst den Zugang "freischaltete". Da die Betriebe der ehemaligen DDR von Firmen der Bundesrepublik aufgekauft wurden und in diesen dann mehr Menschen als in der. Standorten der alten Bundesrepublik entlassen wurden, erzeugte das den Eindruck, die Wiedervereinigung sei zu Lasten der Neuen Bundländer angelegt worden. Ein folge ist die Abwanderung der jungen Generation und damit zur Stagnation in vielen Regionen, so im Süden Thüringens, nicht aber in den Regionen Leipzig und Dresden.
In ARD und ZDF bekommen die Verlierer auch ihre Welt „westlich“ erklärt. Das tun die klugen Leute im Fernsehen so, dass Viele in den Neuen Bundesländern deren Begriffswelt schon nicht verstehen können. Anders die AFD, sie wird von den Menschen verstanden, die nicht zu den westlichen Denkmodellen aufgeschlossen haben.
Dieses Beurteilung durch die westlichen Medien besagt, dass die ganze Geschichte des kommunistischen Teils Deutschlands nicht nur falsch gelaufen ist, sondern dass das Leben, was die Menschen unter den viel ungünstigeren Bedingungen zustande gebracht haben, ebenfalls mit einem Minuszeichen versehen werden muss. Die Solidarität untereinander, die gegenseitige Unterstützung und Vieles, was in der Familie und im Bekanntenkreis gelebt wurde, sollen die Menschen auch als misslungen betrachten. Die „Erlösung“, die gekommen ist, bedeutete erst einmal Entlassungen und damit keine Chance, einen Arbeitsplatz wieder zu bekommen. Entlassen wurde vor allem im Osten, die Belegschaften im Westen wurden möglichst verschont.
Wie Politiker und Journalisten die „Eindämmung“ der AFD öffentlich diskutieren, führt nur zu einer größeren Solidarisierung der Wähler mit „ihrer“ Partei. Dann wird die AFD ihren Wählern in der Soziologen-Sprache des Westens erklärt, was die Solidarisierung mit dieser Partei verstärkt. Sie spricht nicht in den Erklärungsmodellen des Westens.

Die ehemalige DDR wird weiter auf ihr Wirtschaftsmodell reduziert

Der Westen hat die Wiedervereinigung als Wirtschaftsproblem definiert und damit die Menschen erst einmal da angesprochen, warum sie dem Sowjetsystem eine Absage erteilten. Deshalb können Kommentatoren auch erklären, die AFD würde verschwinden, wenn die wirtschaftlichen Unterschiede beseitigt sind. Aber dann hätte die Wiedervereinigung anders verlaufen müssen. Da die Mehrheit der Menschen die Wiedervereinigung wegen der D-Mark gewählt haben, war die Arbeitslosigkeit als Folge der Wiedervereinigung doppelt belastend. Die Leute im Gesamtdeutschen Ministerium und in den Instituten, die zu Zeiten des Kommunismus die DDR erklärten, hätten die kulturelle Dimension im Blick haben müssen. Es gab in dem eigens für die Wiedervereinigung eingerichteten Ministerium offensichtlich keinen Plan, der die psychologischen und kulturellen Muster zum Thema für den Prozess der Wiedervereinigung gemacht hätte, denn die Muster, die die Menschen im Osten zur Bewältigung ihrer Situation entwickelt hatten, ließ sich nicht einfach an die westliche Erklärung der Wirklichkeit andocken würden. Weil die Bundesrepublik immer weniger Kultur und damit nur noch Wirtschaft „kann“, gibt es auch nach mehr als 30 Jahren immer noch den tiefen Graben im Denken und Fühlen. Die AFD, die hier nicht in Bezug auf ihre Wähler in der alten Bundesrepublik Blick ist, zeigt das Versagen des Westens. Wenn man ein Volk quasi kolonisiert, wird es in Widerstand gehen. Das erklärt, warum die Anhänger der AFD die USA, nicht weil sie pro Russland wären, Immigranten erfuhren mehr Zuwendung nicht an Menschen aus andere Kulturen mit anderer Sprache gewohnt, konkurrieren um die Arbeitsplätze der Unterschicht, die der Westen hat entstehen lassen von Kennern, sondern weil die USA der Inbegriff westlich-kapitalistischer Machtausübung ist. So wurde das der Gefühlslage der Wende-Verlierer erklärt.

Die Kirchen blieben auch ideenlos

Die Kirchen haben nicht, wie z.B. in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, eine vermittelnde Rolle gespielt. Das war auch schwieriger. Denn anders als in Russland und der Ukraine kehrten die Menschen in der ehemaligen DDR wie in Tschechien nicht zur religiösen Praxis zurück. Auch wenn die Wende mit den Montagsgebeten begann, die meisten Bürger der ehemaligen DDR empfinden "Kirche" als Westimport. Zudem waren diejenigen, die in den Kirchengemeinden ihre Heimat gefunden hatten, meist besser gebildet und konnten sich in den neuen Verhältnissen besser zurechtfinden. Da sie nicht nur materialistisch dachten, sahen sie in der D-Mark auch nicht den Heilsbringer, so dass sie nicht so enttäuscht werden konnten. Da sie auch in der Zeit der Abschottung mehr Verbindungen in den Westen hatten, war für sie die Umstellung leichter zu bewältigen. Sie stecken aber auch noch in den Verhältnissen der früheren DDR. Die Gemeinden haben nämlich die größere Mauer nach außen, die sie sich in der Zeit der Unterdrückung zulegen mussten, nicht geschleift. Die Welterklärung durch Westdeutsche hat für den Osten immer das Minus-Vorzeichen. Die Menschen in den neuen Bundesländern können sich nicht selbst erklären, sie werden vom Westen erklärt, weil er auch im Erklären sich als der Bessere fühlt. Diese wird Zurücksetzung erlebt, es ist der Teil Deutschlands mit der schlechteren Geschichte, dem versäumten Leben und der nicht so leistungsfähigen Wirtschaft. Diese Überheblichkeit kann nicht mit Geld abgegolten werden, sie verlangt Zuhören und die Wertschätzung wieder aufleben zu lassen, die für kurze Zeit der friedlichen Revolution entgegengebracht wurde.


Kategorie: Verstehen

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