Dom Neviges - Foto: dpa / picture-alliance

Von der Häresie der Kirchenbauten

Räume vermitteln Atmosphären. Atmosphären resultieren aus sinnlichen Erfahrungen. Sinnliche Erfahrungen sind ein Konglomerat aus körperlichen Empfindungen, rationalen Benennungen und kognitiven Verarbeitungen. Kognitive Verarbeitungen enthalten Sinnzuschreibungen und eben auch theologische Überzeugungen. Es kann oder muss sogar gefragt werden, welche Aussagen in einem von Menschen geschaffenen Gebäude enthalten sind und ob bei Kirchenbauten Häresien auszumachen sind? Ein erster Versuch soll im Folgenden dazu gemacht werden.

Nach dem letzten Konzil widmeten sich zwei Bücher der katholischen Ästhetik. Sie äußerten eine recht deutliche Kritik an modernistischen Tendenzen. „Das Konzil der Buchhalter“ von Alfred Lorenzer ist eine psychoanalytische Aufarbeitung und eine Kritik an der Zerstörung der Sinnlichkeit durch die durch das Vaticanum II initiierten Entwicklungen. „Die Häresie der Formlosigkeit“ von Peter Mosebach ist eine Kritik, die sich ästhetisch den Veränderungen in der Liturgie widmete. In Zeiten, wo es um radikale Einschnitte in den Kirchen geht, ist es verwunderlich, dass bei den Schließungen von Kirchen, nicht überlegt wird, inwieweit Kirchenbauten möglicherweise häretisch sind.

Die Architektur

Ein Haus, ein Gebäude, muss zunächst einmal statisch so berechnet sein, dass es nicht zusammenfällt. Durch den Beton war es möglich, Gebäude und eben auch Kirchen so zu bauen, wie es eigentlich und bis dato nicht möglich war. Es wurde möglich, sich von traditionellen Formen zu trennen und ungewohnte Formwelten zu schaffen. Der Architekt Gottfried Böhm konnte in Neviges, unterstützt von Kardinal Frings, den Mariendom bauen, der Ausdruck der neuen Möglichkeiten war. Der Kirchenbau folgte in seiner Architektur dem Kirchenverständnis des II. Vaticanums. Von außen könnte die Kirche wie ein Zelt erscheinen, im Inneren erinnert der Bau an einen Marktplatz. Gottfried Böhm und sein Sohn Paul bauten vierzig Jahre später ebenso aus Beton die Zentralmoschee in Köln. Beide Bauten sind herausragende Werke der Architektur. Aus dem Faktum jedoch, dass derselbe Architekt eine katholische und eine muslimische Kultstätte baut, kann sich die Frage ergeben, wie das möglich ist. Bekommt die jeweilige Theologie dadurch nicht eine Beliebigkeit und steht die Architektur dabei nicht im Vordergrund. Oder anders gefragt, muss ein Architekt nicht in den Formen einer speziellen Religion oder Konfession aufgewachsen sein und leiblich die Lebensformen gespürt haben, um dann auch die Theologie in Architektur umzusetzen? Lässt sich nur aus einer theoretischen Kenntnis ein Kirchenbau errichten, der mehr sein soll als ein Gebäude?

Erkennbarkeit

Sowohl der Mariendom in Neviges als auch die Moschee in Köln sind nicht als Kirche oder Moschee auf Anhieb erkennbar. Es ist ein klarer Bruch zur Tradition, der nicht nur durch die Möglichkeiten des Baumaterials gegeben ist. Man weiß, dass die wie eine Felsenformation erscheinende Gebäudeplastik in Neviges eine Kirche sein soll. Man weiß, dass das Gebäude an der Venloer Straße in Köln-Ehrenfeld die umstrittene Zentralmoschee ist, man erkennt oder erfährt es allerdings nicht. Es könnten auch profane Bauten sein. Bei genauerem Hinschauen lassen sich einige Indizien entdecken, dass es sich hier um besondere Gebäude handelt, die etwas mit Religion zu tun haben. Betritt man den Mariendom in Neviges, gelangt man in eine dunkle Höhle. Es hat etwas Kaltes, die Wände sind glatt und schmucklos, man betritt einen undefinierbaren Raum und befindet sich auf einer Art Marktplatz. Wüsste man nicht, dass man sich in einer Kirche befindet, wäre es nicht erkennbar. Dass die Idee des Aufbruchs, der Gedanke einer Kirche in der Welt von Gottfried Böhm durch die Architektur umgesetzt werden sollte, widerspricht nicht dem leiblichen Gefühl in diesem Kirchenbau, dass etwas fehlt. Es ist ebenso, wenn man die Moschee in Köln betritt. Es lässt sich staunen über die Architektur, man kann die Raumeffekte bewundern und sich theologische Gedanken über die Absichten des Architekten machen, doch die Erkennbarkeit im Sinne eines spontanen Wiedererkennens stellt sich nicht ein.

Das Numinose

Moderne Sakralbauten wie die von Gottfried Böhm sind oft als ein Bruch mit der Tradition konzipiert. Es kann jedoch der Frage nicht ausgewichen werden, ob die Erwiderungen auf solche Neuerungen von Alfred Lorenzer und Martin Mosebach nicht eine Berechtigung haben. Die Sinnlichkeit, mit der der Mensch Räume, Situationen und Atmosphären erspürt, ist nicht unabhängig von geschichtlichen Prägungen. Es bedarf einer Hermeneutik der sinnlichen Erfahrung, die unabhängig von Abstraktionen und theoretischen Entwürfen ist. Wer zum Beispiel römisch-katholisch geprägt ist, hat einen gewissen Hang zum Kitsch. Das Nüchterne widerstrebt dem Katholiken. Der Katholik braucht eine Stimulation, die von außen kommt. Sinnlichkeit ist wichtiger als der intellektuelle Überbau. Das Numinose wird als Brimborium eingefangen und das Ungeheure durch die Konkretisierung als Kerzenlicht, Weihrauch, schöne Gewänder, Putten, Fresken usw. erträglich gemacht. Das Geheimnisvolle wird anfassbar angeboten und behält durch ein sakramentales Verständnis dennoch das Heilige. Die Reformbewegungen des Vaticanums II sind auf der abstrakten Ebene nachvollziehbar, die Gegenreaktionen vor allem auf die Liturgiereform sind jedoch ein Hinweis darauf, dass Religion immer auch eine sinnliche Erfahrung einschließt und hierin Theologie enthalten ist. Insofern lässt sich fragen, ob manche Kirchenbauten in dem, was sie als sinnliche Erfahrungen ermöglichen oder verunmöglichen, häretische Aspekte enthalten, also mit theologischen Grundüberzeugungen nicht übereinstimmen. Ein Instrumentarium zur Erforschung und Analyse der sinnlichen Erfahrung und der hierin enthaltenen Sinnaussagen scheint es bisher noch nicht zu geben. Ansätze hierzu finden sich in der Psychogeografie von Collin Ellard oder den phänomenologischen Überlegungen zur Atmosphäre von Gernot Böhme, Hermann Schmitz und Jürgen Hasse.

Thomas Holtbernd

Foto: Dom Neviges - dpa / picture-alliance


Kategorie: Analysiert

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