Das Ei als Auferstehungsymbol: Das Küken pickt sich frei, Kiew, Platz vor der Kathedrale, Foto: hinsehen.net E.B.

Ostern – das Fest zuerst der Opfer

Ostern setzt den Karfreitag voraus. Jedes Jahr hat dieser Prozess seine eigene Bedeutung. Es geht um Freisetzen. Das ist das Ergebnis der Auferstehung, nicht nur für die Täter. In diesem Jahr geht es um die Opfer, Freiwerden von der Opferrolle.

Ostern ist das Fest eines Opfers, nämlich des gekreuzigten Messias, des Gesandten Gottes. Auferstehung ist daher erst einmal die Erweckung der Opfer zu neuem leben. Das müsste dann in der Katholischen Kirche doch wohl zuerst für die Opfer des Missbrauchs gelten. Diese Kirche verstellt sich jedoch für diese Sinnspitze der Auferstehung Jesu den Blick, indem sie die Sünder, also die Täter, in den Vordergrund stellt. Diese sind durch Hinrichtung und Auferstehung Jesu von ihrer Sündenlast befreit. Jesus hat bereits am Kreuz für seine Ankläger mit dem Hinweis gebetet "denn sie wissen nicht, was sie tun." Genau das muss man den Tätern auch einräumen. Sie wussten nicht, welche Langzeitschäden sie den jungen Menschen zugefügt haben. Aber, so sollten alle Katholiken sich fragen, ist Jesus nicht zuerst solidarisch mit den Opfern und muss ihnen nicht die Aufmerksamkeit der Mitchristen zuerst gelten?

Wegen der Sünden hingerichtet, für die Opfer auferstanden

In der Deutung des Todes Jesu ist selbstverständlich die Frage enthalten, weswegen Jesus sterben musste. Es sind die Mächtigen, die er infrage gestellt hat, seine Predigt von einem barmherzigen Vaters, der zuerst für die Unbedeutenden und Verachteten da ist, seine Infragestellung einer auf das Rituelle reduzierten Gottesverehrung. Mit seinem Auftreten und seinen Predigten hat er der Religion ihres Machtanspruchs entkleidet. Die Beziehung zum sexuellen Missbrauch liegt nahe, denn dieser ist ohne ein Machtgefälle nicht möglich. Diese Macht wird dann noch einmal gegen das Opfer ausgeübt, wenn man, vor allem den Mädchen, unterstellt, sie hätten den Erwachsenen verführt. Die Abhängigkeit erfahren die Opfer nicht nur durch die Tat, sondern noch mehr, dass der Täter den Schutz der Institution erhält und sie zum Schweigen gebracht werden. Es ist also nicht die sexuelle Freizügigkeit allein, die die sexuellen Übergriffe gerechtfertigt hat, sondern der Machtmissbrauch. Macht kann, ob bei der Beseitigung eines spirituellen Konkurrenten oder in der Ausnutzung der Unterlegenheit von jungen Menschen sehr zum Schaden anderer eingesetzt werden. Damit Menschen Opfer werden können, braucht es auf der anderen Seite reale Macht, die in der Lage ist, andere auszunutzen oder zum Schweigen zu bringen. Was wäre aber dann Ostern:

Märtyrer gibt  es nur wegen Ostern

Im Umgang mit den Opfern des Missbrauchs könnte sich die Katholische Kirche an der Verehrung der Hingerichteten orientieren. Sie hat in ihrer Gründungsphase das Martyrium nicht als Niederlage, sondern als Sieg verstanden. Der Sieg besteht darin, dass der Glaube über die Brutalität der Machthaber gesiegt hat. Das ist aber nur möglich, weil die Märtyrer so wie Jesus nicht im Tod bleiben. Hätten die Richter Jesus wirklich durch die Vollstreckung des Todesurteils mundtot machen können, dann gäbe es den christlichen Märtyrer nicht. Das wird auch daran deutlich, dass es politischen Bewegungen nie richtig gelungen ist, getötete Mitglieder zu Märtyrern zu stilisieren.

Befreiung aus der Opferrolle

Wenn es Ostern für Missbrauchsopfer geben soll, dann wäre es die Befreiung aus der Opfersituation. In die sind sie gestoßen worden, weil sie ohnmächtig waren, selbstbestimmt zu reagieren. Deshalb ist Missbrauch die Handlung eines körperlich Überlegenen, der auch, weil ihn die Institution schützte, seine Überlegenheit behalten konnte. Auf diese mehrfach erfahrene Ohnmacht hat die Institution Kirche bisher keine angemessene Antwort gefunden. Denn den Opfern gegenüber das Versagen der Institution einzugestehen und die Täter anzuklagen, schafft noch keine Versöhnung. Zuerst müssen die Täter zu ihrer Tat stehen und von sich aus Versöhnung suchen. Davon ist bisher nichts zu hören. Es gibt auch keine, einer Kirche angemessenen Schritte, wie Täter zum Eingeständnis ihrer Schuld und zum Vergeben geführt werden. Ehe man von den Opfern Verzeihung erwarten kann, müssen die Täter um Verzeihung bitten.

Die Auferstehung Jesu gilt zuerst den Opfern

Ist Ostern zuerst das Versprechen an die Täter, dass Gott ihnen verzeiht? Oder nicht zuerst an die Opfer, dass Jesus sie aus ihrer Opferrolle befreit. Und hat Jesus nicht verlangt, dass die Täter sich bekehren. Das heißt dann konkret, dass sie vor den Opfern ihre Schuld bekennen. Begegnung der Täter mit ihren Opfern, wäre das nicht die aktuelle Antwort auf die Botschaft Jesu, um dann Ostern feiern zu können. Die heutige Kirche könnte an die frühchristliche Bußpraxis anknüpfen, die über die 40 Tage der Fastenzeit die Büßer aus der Gemeinde ausschloss, um sie dann am Gründonnerstag wieder aufzunehmen. Diese lange Bußzeit war der Schwere der Untat angemessener als der heutige Gang in den Beichtstuhl. Abfall vom Glauben, Ehebruch und Mord waren die Sünden, die die Büßer 40 Tage lang vor der Gemeinde öffentlich bekannten. Da inzwischen die schweren Langzeitfolgen des Missbrauchs bekannt sind, wäre eine solche Bußzeit ein angemessenes Zeichen, dass die Kirche "das Böse" aus ihren Reihen herausbringt. Dann käme auch wieder ein Gleichgewicht zwischen der Schuld der Täter und dem Leiden der Opfer zustande. Dieser auf Heilung ausgerichtete Ausgleich würde den Opfern zumindest etwas mehr Luft zum Atmen geben. Es bleibt wohl, trotz der Osterbotschaft das Unbehagen, dass die Katholische Kirche bisher keine Antwort auf den jahrelang vertuschten Missbrauch gefunden hat.

Die hier vorgeschlagene Korrektur der Fastenzeit, nämlich die Opfer mehr in den Blick zu nehmen, wurden angeregt durch den Beitrag von Hildegunde Keul „Resurrection as an Art of Living: Restoring Faith after Abuse in dem vom Centre for Child Protection herausgegebenen Sammelband „Safeguarding, Reflecting on Child Abuse, Theology and Care, Rom, Löwen 2018, Peeters Publishers 2018, S. 105-126

Link: Missbrauch - die Zerstörungen wirken weiter.


Kategorie: hinsehen.net Analysiert

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