Ausschnitt von La nuit étoillée, van Gogh

Kunst und Religiosität

Die Kunst der Gegenwart hat bei einigen Theologen ihren Platz im Denken. Peter Larcher, Fundamentaltheologe im Interview mit Andreas Gröpel.

Worin sehen Sie die besondere Chance der Kunst für den Glauben?

Wir brauchen neue Orte, die uns religiös wachhalten und Religion nicht in Vergessenheit geraten lassen. Gott muss als Frage in unserer Gesellschaft weiterhin virulent bleiben. Diese Aufgabe sehe ich zentral an mein Fach, die Fundamentaltheologie gerichtet. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist ja Fundamentaltheologie von ihrem Selbstverständnis her nicht mehr bloße Apologetik, also Verteidigung tradierter Glaubenssätze und Frömmigkeitshaltungen. Es gehört vielmehr zu ihrem Aufgabenbereich, Zugänge zum Glauben zu erschließen. In diesem Falle - so meine These - mithilfe der Kunst, besonders der zeitgenössischen Kunst. Sie ist dem Nerv der Zeit am nächsten und hat an Gegenwartsfragen unmittelbar Anteil. Das Gesagte gilt natürlich für alle Arten von Kunstschaffen, auch für den Film. Ich möchte nur den Namen Michael Haneke nennen. Der mehrfach in Cannes ausgezeichnete Filmregisseur erhielt 2013 das Ehrendoktorat der theologischen Fakultät der Universität Graz.

Was ist aber daran neu? Kunst gab es in der Kirche doch schon immer.

Die katholische Kirche hat die Kunst stets bejaht. Hier sehe ich ein Kontinuum durch die Kirchengeschichte hindurch. Bereits der Bilderstreit in der Alten Kirche mit seiner positiven Option kann als Indiz für die Wichtigkeit der Thematik angesehen werden. So wären wichtige Kulturdenkmäler ohne das Christentum nie entstanden. Ich erwähne nur die Hagia Sophia, den Kölner Dom oder Michelangelos Sixtinische Kapelle. Gleiches gilt für die Musik. Brahms, Mozart und Beethoven haben für die Kirche Unvergleichliches geschaffen. Hier geht es um ein freilich geschichtlich gewandeltes Kunstverständnis. Denn auch die Kunst hat einen Emanzipationsprozess durchlaufen. Schon im Humanismus und der Renaissance haben die Künste begonnen, sich selbst zu behaupten, fortschreitend Autonomie beansprucht und sich immer mehr von theologischen Bildungsprogrammen und ihrem kirchlichem Auftrag gelöst. Als modern verstandene Kunst, d.h. neuzeitliche Kunst bis hin zu Gegenwartskunst, hat sie sich von einem schmuckhaften bzw. rein pädagogischen Verständnis gelöst. Sie ist weit mehr als nur schmückendes Beiwerk. Sie ist – ähnlich der Philosophie – nicht mehr Magd der Theologie, sie hat ihre Ancilla-Funktion in der Neuzeit abgelegt.

Welche Folgen hat das für die Theologie?

Der erste Schritt bestünde darin, die Moderne ernst zu nehmen. Man darf sie aber nicht einfach ihren immanenten Mythen, wie z.B. dem Fortschrittsglauben, überlassen. Eine Verteufelung der Moderne kann nicht die Antwort sein. Das Christentum ist Teil der Gesellschaft und in sie verwoben. Niemand kann außerhalb der Gesellschaft leben. Schon gar nicht im multimedialen Zeitalter. Unsere Aufgabe besteht darin, den auch und gerade in der Gegenwartskunst vorhandenen revolutionären, wirklichkeitserschließenden und schöpferischen Sinn freizulegen. Hier liegt ein möglicher Zugangsweg zum Glauben. Denn in einer Kunst, die durch den Läuterungsprozess der Säkularität hindurchgegangen ist, artikulieren sich im Modus subtiler Verzweiflung jene legitimen Wünsche und Sehnsüchte, die aufgrund einer eindimensional-neuzeitlichen Wahrnehmung in Kirche und Gesellschaft verdrängt wurden. Zum Ausdruck solcher Eindimensionalität gehört eine gewisse Geringschätzung von Sinn- und Leiblichkeit.

Also doch kein Bruch mit der Moderne?

Der besagte Bruch und die herrschende Multioptionalität moderner Gesellschaften sind nicht notwendig als metaphysische bzw. theologische Abkehr zu verstehen. Man kann den Bruch der Moderne auch so verstehen, dass unsere vertrauten - immer nur vorläufigen - Bilder des Absoluten sich transformieren entsprechend einem kulturellen Wandel in der Erfahrung der Spur Gottes. Darauf kommt es mir an. Auf die Chance, die einer emanzipierten, auf den ersten Blick mit Theologie und Religion nichts zu tun habenden Kunst innewohnt. Es geht um den Blick auf die vernachlässigte Erfahrungsdimension des Ästhetischen bzw. der Künste. Dabei dreht es sich nicht primär um die Frage, was ist schön und was nicht, sondern was vermag wachzurütteln, Fragen aufzuwerfen, die weiterführen, Interesse zu wecken und staunen zu lassen. Ich vertrete diese These aus der Einsicht heraus, dass die Künste heute als ein Ort nachdrücklichster Thematisierung der Sinnfrage in einer bildfixierten medialen und technischen Gesellschaft gelten können. Sie sind aus meiner Sicht ein Ort schöpferischer spiritueller Regenerierung, Ort einer Freilegung von Erfahrungsräumen für eine erneuerte Rede von Gott und damit auch einer erneuerten Zustimmungsfähigkeit im Glauben.

Die Kunst vermag genuin menschliche Sehnsüchte und Hoffnungen zu artikulieren, auf die das Christentum zu antworten versucht. Das erfordert aber Künstler und die wollen bezahlt werden. Wer soll das leisten?

Wie bereits erwähnt, geht es mir weniger um kirchliche Auftragskunst, selbst wenn die Kirche einem Künstler bei seiner Arbeit größtmögliche Freiheit gewähren würde. Die Kunst ist nicht der Transmissionsriemen der Dogmatik. Mein Blick gilt dem Dialog mit dem Panorama zeitgenössischer Kunst als Ganzer. Hier gilt es zu schauen. Fahren Sie, um das zu erleben, auf die Biennale in Venedig oder besuchen Sie die documenta in Kassel. Auch wenn es nicht vordringlich zu sein scheint, moderne Kunst muss entsprechend gefördert werden. Privatleute können das nur eingeschränkt leisten. Hier ist die öffentliche Hand gefordert, auch wenn sie das Geld lieber für andere Projekte ausgeben möchte. Der Staat sollte aber nicht vergessen, dass er mit der Förderung der Kunst nicht nur in etwas investiert, was wir seit Jahrhunderten als kulturellen Wert anerkennen und deshalb auch in unseren Museen ausstellen, sondern dass er den Menschen damit in einen notwendigen, existentiellen Dialog zwingt, der ihn auf die Sinnfrage zurückwirft. Der moderne Mensch mag die Sinnfrage verdrängen, sie holt ihn aber immer wieder ein. Mit der Förderung der Kunst muss freilich auch die Förderung eines ästhetischen Bewusstseins einhergehen. Dies ist geistige „Infrastruktur“, denn wir benötigen eine entsprechende Rezeptionshaltung. Hier wären unsere Schulen gefordert. Dies setzt aber eine Abkehr von einem rein funktionalistischen Bildungsverständnis voraus.

In den vergangenen Jahren wurden verstärkt Stimmen laut, die in einer armen Kirche die Idealform sehen. Als Ausdruck der Solidarität zu den Armen in der Welt. Wie ist Kunst mit Armut vereinbar?

In der Kulturgeschichte sehen wir, dass Kunst nur dort entsteht, wo Gesellschaften nicht ums blanke Überleben kämpfen. Kultur setzt stets einen gewissen Wohlstand voraus. Manchen mag die Förderung der Kunst tatsächlich überflüssig erscheinen. Sie ist jedoch ein Ausdruck der Freiheit des Menschen, seiner Kreativität und eben eine Möglichkeit, Transzendenz zu artikulieren. Würde man die Kunst ganz vernachlässigen, würde sich der Mensch einer seiner wesentlichen Fähigkeiten sich und die Welt kreativ zu gestalten, berauben: der Sinnlichkeit. Ich glaube nicht, dass Gott dies von uns will.


Kategorie: Gelesen

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