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Märtyrer werden nicht mundtot gemacht

Nicht nur Jesus, sondern andere, die Gewaltlosigkeit propagierten, sind umgebracht worden. Sie mussten sterben, weil sie zu viel infrage gestellt haben. Ihre Ideen haben sich jedoch als stärker erwiesen. Warum werden sie umgebracht, wenn sie nicht mundtot gemacht werden können?

Wer auch heute im Namen einer anspruchsvollen Ethik auftritt, Forderungen stellt und dafür noch Zustimmung erfährt, ruft die auf den Plan, die am Bestehenden festhalten. Die Herrschenden haben die Möglichkeit, sie umzubringen. Sie greifen zu diesem Mittel, um ihre Herrschaft, ihr Geld, ja sogar ihre Form von Religion zu retten. 

Gewalt macht mundtot

Widerspruch mit Gewalt zu ersticken, ist eine Methode, die in Diktaturen sogar über Jahre funktioniert. Mit Gewalt wird Anpassung erzwungen. Ob Faschismus oder Leninismus, sie haben sich durch Einschüchterung länger halten können. 
Mafiöse Clans nutzen das gleiche Mittel. Die Journalisten Ján Kuciak in der Slowakei und Daphne Caruana Galizia in Malta wurden umgebracht, weil sie Korruption aufgedeckt haben. Während sie nur die Beachtung der Gesetze einforderten, wollen andere die Gesellschaft insgesamt gerechter machen. 

Umgestaltung der Gesellschaft

Gefährlicher für bestehende ungerechte Verhältnisse sind diejenigen, die nicht nur Missbrauch aufdecken, sondern eine Veränderung fordern. Gerade diese Protagonisten umzubringen, vermindert aber nicht ihren Einfluss. Wie die Herrschenden den Ideen nichts entgegensetzen können, meinen sie, die Ideen unwirksam zu machen, wenn sie deren Protagonisten umbringen. 
Der Mord an Martin Luther King war einer der vielen an Nachkommen afrikanischer Sklaven. Gleiche Rechte für Schwarze, das war seine gesellschaftsverändernde Strategie. Denn es gab Gesetze, die ihnen verbot, die gleichen Verkehrsmittel wie die Mehrheit der Bürger zu nutzen, ihnen den Zugang zu besserer Bildung verwehrten, und sie somit vom sozialen Aufstieg ausschloss.
Der Protagonist für gleiche Rechte ohne Berücksichtigung der Hautfarbe in Südafrika, Nelson Mandela, sollte durch jahrzehntelange Gefängnishaft zum Schweigen gebracht werden. Er musste nicht sterben und konnte nach dem Ende der Apartheid sein Land versöhnen.

Der Vorrang einer Religion

Gandhi wurde nicht von den Engländern umgebracht, sondern von einem Inder, der zu der nationalistischen Hindu-Gruppe gehört, die hinter der an der Regierung befindlichen Bharatiya Janata Party (BJP) steht. Was heute für Indien wiederhergestellt werden soll, dass nämlich der Hinduismus die bestimmende Religion ist, war vor der Eroberung der Engländer nicht gegeben. Das Land war in kleine und größere Fürstentümer geteilt, einige wurden von muslimischen Herrschern regiert. Erst die englische Kolonialmacht einte die Nation. Im neuen Indien sollten die Muslime keinen Einfluss mehr haben. Gandhi strebte einen multireligiöses neues Indien an. Das war Indien auch über Jahrzehnte. Die jetzt regierende Partei, die wohl von der hinduistischen Gruppe gesteuert wird, setzt Maßnahmen inzwischen um, die Muslime und Mitglieder anderer, nicht-hinduistischer Religionsgemeinschaften zu benachteiligen. In der Corona-Krise werden sie nicht in gleichem Umfang wie die Muslime, Christen oder Anhänger anderer Religionen mit Nahrungsmitteln versorgt. Das leitet zu der noch schwierigeren Frage, warum Menschen aus religiösen Motiven umgebracht werden.

Religiöse Überzeugungen machen todeswürdig

Sokrates wurde wohl zum Tode verurteilt, weil er mit seiner Philosophie den Götterglaube außer Kraft setzte. Er spricht nur von einem Gott, der zudem nicht wie die griechischen Götter auf einem Berg lebt, sondern in einer anderen Welt. Da nicht nur die Feste, sondern das Leben der Stadt Athen eng mit dem Götterkulten verbunden waren, fühlte man wohl die öffentliche Ordnung bedroht. Die Götter galten als Schutzmacht, so hatte die Stadt des Sokrates den gleichen Namen wie die Schutzgöttin: Athene.
Jesus musste auch sterben, weil er die bisherige religiöse Praxis bedrohte. Er ging zwar zu den jüdischen Festen nach Jerusalem, aber trieb die Geldwechsler aus dem inneren Bereich des Tempelbezirks und prophezeite das Ende des Tempelkultes und sogar die Zerstörung des Gebäudes. Der Hohe Rat, dem der Hohe Priester präsidierte, musste sich entweder der Predigt Jesu öffnen oder ihn mundtot machen. Sie fanden eine Grund, ihr Motiv war jedoch der Erhalt des Tempelkultes, von dem ihre gesellschaftliche wie auch wirtschaftliche Existenz abhing. Die wirtschaftliche Bedeutung des Tempels wird an den Geldwechslern deutlich. Die Opfertiere mussten mit einer bestimmten Münzsorte bezahlt werden. Da Pilger aus dem Ganzen Mittelmeerraum zu den Festen kamen, versorgten die Geldwechsler sie mit den Münzen, mit denen sie Tiere kaufen und den Priestern zur Opferung übergeben konnten.

Die Ohnmacht der Gewalt

Die Herrschenden täuschen sich, wenn sie Ideen mit Gewalt bekämpfen. Sie können den Protagonisten zum Schweigen bringen, aber nicht nur bei Jesus haben sich die Ideen als stärker erwiesen. Gewalt hat nicht das letzte Wort. Bereits viele Psalmen in der Bibel der Juden sprechen davon, dass Gott den ungerecht Verfolgten rettet. Für die Christen ist die Rettung Jesu aus dem Tod die Frohe Botschaft, das Evangelium. 
Auch wenn viele Menschen, die sich für gerechte Verhältnisse eingesetzt haben, in Vergessenheit geraten sind, sie gehören auf die Seite, die mit ihren Ideen die Gewalttätigen überlebt haben. Zwar steht Pilatus im Glaubensbekenntnis, aber nicht, weil man ihm ein positives Andenken bewahren will. 
Weiter widerlegt der Sieg der Ideen eine rein materialistische Auffassung vom Menschen. Wenn es um Materie geht und Philosophie und Religion nur der Überbau der wirtschaftlichen Verhältnisse wären, dann müssten die Ideen verfliegen. Marx hat es so gesehen: Die wirtschaftlichen Verhältnisse bestimmen den Geist, der nur als Überbau auf der Realität der Wirtschaft aufruht. Diese Hypothese von Marx ist nicht nur durch das Ende des Kommunismus widerlegt. Es sind ja gerade die wirtschaftlichen Verhältnisse, ob Sklavenhaltung, die Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch Götterkulte oder gar der Jerusalemer Tempel als sehr lukratives Wirtschaftsunternehmen, die zum Tode der Ideenträger wurden. Nicht die Wirtschaft, sondern die Freiheit erweist sich am Ende als die bestimmende Kraft, die sogar so stark ist, dass sie auf Gewalt verzichten kann. 


Kategorie: Verstehen

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