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Auf der Überholspur ausgebremst: Leukämie und ich 1

Seit Jahren hatte ich endlich wieder das Gefühl auf der Überholspur zu sein. Ein neuer Partner, eine unbefristete Stelle, die lang erträumten Urlaube und Destinationen. Dann, gerade als ich so richtig durchstarten wollte, die Diagnose: Akute myeloische Leukämie.

Die Diagnose erhielt ich am 12. Oktober 2023. Mir war sehr schnell klar, dass ich über meine Krankheit schreiben möchte und habe seitdem immer wieder versucht, meine Gedanken zu Papier zu bringen, es aber bis jetzt nie zu einem fertigen Text gebracht.

Meine Gesundheit war nie etwas, das mir große Probleme bereitete oder worüber ich je viel nachgedacht habe. Ärzte suchte ich nur für die notwendigen Vorsorgeuntersuchungen und jährlichen Check Up‘s auf. Ein Schnupfen im Winter war das einzige, was mich die letzten Jahrzehnte für ein paar Tage im Jahr auf die Couch verfrachtet hat. Eine AU hatte ich in meinem bisherigen Arbeitsleben noch nie eingereicht.

Als ich im Oktober 2023 dann doch einmal meine Hausärztin aufgrund einer Entzündung im Mundraum aufsuchte und sie mir tags drauf mitteilte, dass sie mich gerne zu einem Hämatologen überweisen würde, da meine Blutwerte in Richtung Leukämie deuten könnten, fiel die Welt für mich aus den Angeln. Ich konnte unmöglich krank sein! Ich war fit, kam gerade frisch erholt aus dem Urlaub, wo ich Paris in 24 Stunden zu Fuß entdeckt und mühelos durch die Normandie spaziert bin. Zwei Tage zuvor hatte ich doch noch im Garten gearbeitet und jetzt sollte ich auf einmal krank sein und dann noch so ernsthaft?

Für die Hämatologin machte ich auch nicht den Eindruck einer typischen Leukämiepatientin. Vielleicht war es doch nur ein Virus, der für die auffälligen Blutwerte verantwortlich war. Der Laborbericht wusste es besser. Als der Anruf der Hämatologin kam, dass ich mich sofort ins Krankenhaus begeben sollte, schaltete mein Kopf auf „funktionieren“. Ich packte ein paar Sachen zusammen, benachrichtigte meinen Arbeitgeber und wartete darauf, dass mich meine Eltern ins Krankenhaus bringen würden. Ich wollte keine Tränen, kein „Warum ich?“, erst einmal keinen Gedanken an das weitere Verfahren verwenden.

Schon beim Hämatologen/Onkologen im Wartezimmer zu sitzen, kam mir surreal vor. Jetzt in der Notaufnahme mit dieser Diagnose über mir, die irgendwie final, dann aber doch nicht war, kam mir vor wie ein Film. Als dann die Oberärztin der Onkologie die Diagnose bestätigte und anfing, von wochenlangen Krankenhausaufenthalten, Chemotherapien und Kryokonservierung zu sprechen, brach die Wirklichkeit über mich herein.

Ich wurde auf der onkologischen Station aufgenommen. Da mein Allgemeinzustand und meine Blutwerte noch gut genug waren, mussten noch weitere Voruntersuchungen von Blut und Knochenmark gemacht werden, um die Genetik meiner AML genau zu bestimmen. In der Regel muss bei einer akuten Leukämie auch akut gehandelt werden, weil diese sonst unbehandelt schnell zum Tod führen kann. Da meine Erkrankung durch Zufall früh genug erkannt wurde, bevor sich Symptome bemerkbar gemacht hatten, blieb mir vor Therapiebeginn ein Puffer von zwei Wochen, in denen ich noch Zeit hatte mich mit Themen zu beschäftigen, die für mich vor Beginn der Chemotherapie noch in weiter Ferne lagen, aber auf einmal relevant wurden. Wie sieht es mit Familienplanung aus? Chemotherapien können zur Unfruchtbarkeit führen. Sollte ich Vorkehrungen treffen und meine Keimzellen konservieren?

Die Chemotherapien

Nachdem diese Vorkehrungen, mehr oder weniger in letzter Minute, geregelt werden konnten und sich mein Allgemeinzustand währenddessen zunehmend verschlechterte, konnte mit dem ersten Zyklus der Chemotherapie begonnen werden. Die Standard-Induktionstherapie bei AML besteht aus einem 7 + 3 Schema. Da mein Alter und meine bisherige Krankengeschichte eine aggressive Therapie zuließen, erhielt ich von Anfang an eine recht hochdosierte Chemotherapie. An sieben aufeinander folgenden Tagen wurde mir für 24 Stunden ein Zytostatikum verabreicht. Zusätzlich dazu ein weiteres Präparat während der ersten drei Tage. Da die Chemotherapie sämtliche Blutwerte in den Keller fahren lässt, musste ich danach noch weitere drei Wochen im Krankenhaus verbringen. Nach fünf Tagen zu Hause begann dann nach dem gleichen Schema der zweite Chemozyklus. Meine Angst vor der ersten Chemotherapie war enorm. Wie bei jedem Medikament oder jedem Eingriff war die Liste an möglichen Nebenwirkungen scheinbar endlos. Doch was mir am meisten Angst machte – neben dem drohenden Haarverlust – war schlicht die Angst vor dem Unbekannten. Würde ich starke Schmerzen haben? Wie schlapp würde ich sein? Würde ich überhaupt noch das Bett verlassen können? Ich konnte mir keine Vorstellung von dem machen, was mich erwartete.

Rückblickend betrachtet waren die Chemotherapien für mein persönliches Empfinden nicht annähernd so kräftezehrend wie erwartet. Natürlich gab es Nebenwirkungen, Schmerzen und Infekte, ebenso wie Tage, an denen ich nur im Bett gelegen habe. Aber dagegen gab es Medikamente, die es erträglich gemacht haben. Und in meinem Fall gab es deutlich mehr Tage, an denen ich auf Station spazieren gehen, mich bewegen und sogar etwas Sport treiben konnte.

Positivität

Dies hängt sicherlich zu einem beachtlichen Teil auch damit zusammen, dass meine mentale Einstellung seit Tag1 durchweg positiv und optimistisch ist. Ich habe mich recht schnell mit der Diagnose abgefunden und da es keine Alternative zu dem ausgearbeiteten Therapieplan gab, war mir klar, dass ich das, was kommt, einfach annehmen, ertragen und durchstehen muss, um gesund zu werden. Dass ich so viel Positivität und Stärke in mir mobilisieren kann, hat mich selbst überrascht. Vielleicht habe ich auch aus Selbstschutz alle „Was ist wenn…“- Fragen verdrängt. Denn ich habe versucht, mich auf das zu konzentrieren, was mir dabei hilft zu genesen. Alles was dem im Wege steht, habe ich versucht zu vermeiden. Tränen sind vollkommen in Ordnung, helfen mir aber nicht dabei, gesund zu werden. Deshalb habe ich versucht, Trauer und Angst nicht zu sehr dominieren zu lassen. Wenn ich dann einen Hänger hatte, wusste ich, dass ich in meinen besten Freundinnen immer eine Quelle der Positivität habe und dass ein Anruf genügt, um mich wiederaufzubauen.     

Neues Immunsystem

Nach zwei Chemotherapiezyklen war ich in Remission, hatte also keine nachweisbaren Krebszellen in meinem Blut. Dennoch war klar, dass ich bei der Genetik meiner Leukämie ein neues Immunsystem in Form einer Stammzellenspende benötige, um langfristig gesund zu werden und das Risiko eines Rezidivs zu minimieren. Ich hatte das unfassbare Glück, dass mein Bruder als Spender in Frage kommt. Und so feierte ich am 15. Februar 2024 meinen „zweiten Geburtstag“. Ob und wie das neue Immunsystem seine Arbeit aufnimmt, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht sagen. Die Diagnose Leukämie hat mein Leben massiv verändert und wird auch künftig immer Teil meines Lebens bleiben. Doch ich kann es kaum erwarten endlich den Gang einzulegen und wieder voll durchzustarten.  

Zwei weitere Berichte von Kerstin Barton folgen


Kategorie: Verstehen

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