Weil er in Chicago geboren wurde, ist er trotzdem kein US-Bischof, so wie Franziskus nicht als Italiener gelten kann, obwohl seine Eltern noch italienische Staatsbürger waren. Der neugewählte Papst hat auch kein Wort Englisch gesprochen, sondern neben italienisch noch Spanisch. Er hat sich nicht an die USA gewandt, sondern die Menschen aus der Diözese in Peru, wo er Bischof war, ausdrücklich begrüßt. Er wurde von seinem Orden, den Augustinern, nach Lateinamerika geschickt und ist dort erst Bischof von Chiclayo geworden. Wäre er ein US-Bischof, hätten ihn die lateinamerikanischen Kardinäle nicht gewählt. Er wäre nicht der neue Papst. Denn die Abneigung Lateinamerikas gegen die USA sitzt nicht erst mit dem jetzigen US-Präsidenten tief.
Das Erbe von Franziskus weiterführen
Die Kardinäle haben jemanden gewählt, der die Linien, die Papst Franziskus vorgezeichnet hat, weiterführt. Der neue Papst hat sich ausdrücklich auf seinen Vorgänger bezogen. Das bedeutet, dass rund um den Globus die Initiativen des argentinischen Erzbischofs weitergeführt werden. Leo XIV hat ausdrücklich das letzte Projekt seines Vorgängers benannt: Synodale Kirche heißt, im Hören auf den Geist Gottes mit den Betroffenen zu Entscheidungen zu kommen und diese dann auch in Kraft zu setzen. Das wird auch an seinen Worten zu den Kardinälen duetlich:
Papst der Weltkirche
Leo XIV wird den Willen der Kardinäle aufnehmen, mit den Bischöfen rund um den Globus die Kirche zu lenken. Im politischen System der Bundesrepublik würde das heißen, dass der Kanzler das Land mit den Ministerpräsidenten leitet und die Minister Hauptabteilungsleiter des Kanzleramtes wären. Der neue Papst hat das ausdrücklich so gesagt, indem er die Kardinäle angesprochen hat und nicht die vatikanischen Minister. Das führt den Willen der Kardinäle, die den Erzbischof von Buenos Aires gewählt haben, fort. Franziskus war als durchsetzungsfähige Person gewählt worden, um die vatikanische Bürokratie zu zähmen. Die Kardinäle rund um den Globus rebellierten schon vorher gegen die Kollegen im Vatikan mit dem Argument, warum ein Kardinal in Rom ihnen etwas befehlen könne. Als Kardinäle des Vatikans den Kammerdiener von Benedikt XVI bestachen, um Schriftstücke von dessen Schreibtisch zu entwenden, konnten die Kardinäle der Weltkirche die Machtbalance neu austarieren. Wenn sie jetzt den Personalchef der Gesamtkirche gewählt haben, dann waren sie sich sicher, dass die vatikanischen Behörden nicht in ihre frühere Machtposition zurückkehren werden. Franziskus hat mit der Kurienreform die vatikanischen Ministerien zu Serviceabteilungen für die Bistümer bestimmt. Ob eine Verwaltung sich so verstehen wird, muss sich noch zeigen.
Leo XIII.: Die Probleme der Zeit aufgreifen
Er war nicht mehr der Fürst eines italienischen Territoriums, sondern nur noch Erzbischof des früheren Kirchenstaates. Sein Vorgänger, Pius IX, hatte seine Absetzung als Fürst eines italienischen Kleinstaates nicht verwunden. Als das Risorgimento, die italienische Volksbewegung den Nationalstaat Italien wollte, war das das Ende des Vatikanstaats. Pius IX. sich wohl nicht vorstellen, ohne sein Fürstentum sein Amt auszuüben. Papst Leo XIII. stellte sich der Situation. Deshalb konnte er eine Sozialenzyklika zur Sozialen Frage des industriellen Zeitalters schreiben. Er nannte sie Rerum Novarum, „von neuen Dingen“. Pius IX war noch Fürst eines Agrarstaates. Diese Enzyklika war sehr viel erfolgreicher als das Kommunistische Manifest von Karl Marx. Es hat nicht ein Paradies verheißen, sondern Werte und daraus abgeleitete Prinzipien formuliert, wie Gerechtigkeit verwirklicht werden kann. Deshalb konnte diese Enzyklika für jeweils neue Herausforderungen einer Epoche fortgeschrieben werden.
Anders als Franziskus
Aus seiner Regierungserklärung könnte diese Beobachtungen abgeleitet werden, wie er sein Amt ausüben wird. Er wird wie Franziskus kein Papst der Nordhalbkugel sein. Wie Leo XIII. und auch Benedikt XVI. wird er auf die Fundamente des Katholischen und weniger auf das Dynamische setzen. Er wird wohl weniger mit Impulsen, sondern vermittelnd, ausgleichend Einfluss nehmen. War für Franziskus die Armutsfrage leitend, wird es für Leo XIV. der Frieden sein. Trotzdem auch er wohl nicht nach dem Geschmack des deutschen Katholizismus folgen. Dessen Reformkonzept “Endlich die Errungenschaften der Moderne in der Kirche einzuführen” hieße nämlich für Lateinamerika: Verarmung breiter Bevölkerungsschichten und kapitalistischer Raubbau. Europa und die USA werden sich weiter daran gewöhnen müssen, dass ihre Prioritäten nicht mehr bestimmend sind, sondern die der Südhalbkugel.
Ein Kommentar von Eckhard Bieger SJ
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